Rede der Preisträgerin

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Rim Banna Rede anlässlich der Verleihung des Ibn Rushd Preises 2013 an sie.
Übergabe des Ibn Rushd Preises 2013 an Rim Banna durch Fadia Foda.
Damit würdigt der Fund ihre musikalische Arbeit, in der sie sich mit Freiheit und Bürgerrechten befasst, und diese fordert. Rim Bannas kreative Umsetzung kritischen Gedankengutes verbreitet dieses in beispielhafter Weise.

Rim Banna – Rede anlässlich der Verleihung des Ibn Rushd Preises an sie am 15.11.2013

Nie hätte ich gedacht, dass ich diesen weiten Weg jemals überwinden würde, um hier vor Ihnen zu stehen und zu diesem Anlass, der mich sehr bewegt hat, zu Ihnen zu sprechen, … meiner Wahl als Gewinnerin des Ibn Rushd Preises für Freies Denken aus insgesamt 18 Künstlern und Musikgruppen aus 8 arabischen Ländern. Es ist, als ob diese Ehrung, die den Wert des freien Denkens in sich trägt, zu mir gekommen ist, um mir zu sagen: Wir wissen, dass Du mit deinen für Recht und Freiheit unterstützenden Prinzipien richtig liegst.

Als meine Mutter mich überredete, ein altes palästinensisches Wiegenlied zu singen, das sie mir beibrachte, ein Lied, das die Geschichte des Leidens der palästinensischen Mütter unter der Besatzung und Unterdrückung und vom Leben als Flüchtling in der Fremde erzählt – ich war sechzehn Jahre alt – konnte ich damals noch nicht ahnen, dass dieses Wiegenlied der Schlüssel zu meinem künstlerischen, politisch engagierten Werdegang werden sollte. Es wurde von Dorf zu Dorf und Stadt zu Stadt weiter getragen. Das Wiegenlied wurde mit meinem Namen verbunden. Meine Mutter sagte damals zu mir, „Singen ist auch eine Art von Widerstand“. Auf diese Weise wurde das Wiegenlied zur Identität und Botschaft, das das Schicksal des palästinensischen Volkes auf die Bühnen der Welt brachte.

Meine Freunde, ich bin nicht ausschließlich Künstlerin, die auf Bühnen auftritt und für die Menschen singt, um ihnen Freude zu bereiten. Ich habe mich mein ganzes Leben lang bemüht, meine Hörer zu motivieren, nicht neutral zu bleiben, sondern, und wenn auch nur für einen Moment, darüber nachzudenken, was auf der anderen Seite der Welt passiert. Mein eigentliches Anliegen waren die wahren Geschichten, von denen meine Songs handeln, von Palästina und was dort geschieht. Unnachgiebig widmete ich mich ihnen, um der Welt vom Leiden meines Volkes zu erzählen. Meine Stimme war ein Schwert im Nacken der Besatzung und wird es auch so bleiben. Denn die Besatzungsmacht, die immer versucht, im Westen die Idee der „Barbarei“ der Palästinenser zu verkaufen, steht hilflos da vor jenen, die mit ihrer Kreativität und Kunst alle Grenzen überwinden, denen es gelingt, der Welt das Leiden der Palästinenser unter der Besatzung zu vermitteln.

Mein Ansporn war, das belagerte Palästina überall, wo ich mich befand, mitzunehmen. Meine große Liebe zu Palästina war für mich aber kein Hindernis, mich auch anderen humanitären Fragen und Fragen im Zusammenhang mit der Freiheit in der arabischen Welt zu widmen.

Ich sage nicht, dass dies einfach für mich war. Wegen meiner Unterstützung solidarischer Kundgebungen in Tunesien in der Regierungszeit von Ben Ali zum Beispiel wurde ich von der politischen Polizei verfolgt. Meine Lieder durften in den meisten tunesischen Rundfunksendern nicht gesendet werden. Ich wurde zu keinem Konzert eingeladen. Dies alles geschah, weil ich mich mit den Menschen im Bergbau-Gebiet von Haud al-Manjami solidarisiert hatte. Das war zu einer Zeit, in der Ben Ali alle Medien stark observieren ließ, um zu verhindern, dass Informationen nach draußen gelangen. Ich schickte eine Botschaft meiner Solidarität durch ein Video, das ich in den sozialen Medien veröffentlichte. Ich solidarisierte mich auch mit den tunesischen Studenten, die wegen ihrer politischen Aktivitäten in der tunesischen Studentenunion zwangsexmatrikuliert wurden. Sie traten für mehr als 50 Tage in Hungerstreik. Daraufhin schrieb ich eine Petition, die ich im Internet veröffentlichte und sammelte Unterschriften zu ihrer Unterstützung. In einigen arabischen Ländern bewegte ich durch meine künstlerische Aktivität die Menschen dazu, in ihren Ländern vor der tunesischen Botschaft zu protestieren und zu demonstrieren.

Ich hatte die Ehre, die erste arabische Künstlerin zu sein, die sechs Wochen nach dem Sturz von Ben Ali im März 2011 nach Tunesien eingeladen wurde, als Anerkennung meiner anhaltenden Unterstützung, um mit dem tunesischen Volk seine Revolution zu feiern.

Ab diesem Zeitpunkt reiste ich jedes Jahr nach Tunesien, um an den Veranstaltungen in Solidarität mit der Revolution teilzunehmen, zum Beispiel auf dem Märtyrer-Platz in Sidi Bouzid oder in Riqab. Ich nahm auch teil an einer Protestaktion für tunesische Künstler und Kulturschaffende, die vor nicht langer Zeit mit falschen Anschuldigungen verhaftet worden waren.

Was Syrien betrifft, so wurde ich heftig angegriffen durch das syrische Regime und deren Shabiha und sogar von den Palästinensern selbst wegen meiner Unterstützung der syrischen Revolution. Alle, die das Regime unterstützen, erklären jeden, der gegen das Regime ist, zum Anhänger von Nusrat, ISIS [Islamischer Staat im Irak und der Levante] oder zum Terroristen. Wie Sie wissen, ist das der Versuch, unsere Positionen zu verfälschen. Und das entspricht nicht der Wahrheit. Als ich mich dem internationalen Konvoi „Leben“ für humanitäre Hilfe anschloss und das Umland von Aleppo bereiste, welches unter Beschuss und von Blut und Zerstörung gekennzeichnet war, wurde ich vom israelischen Sicherheitsdienst Shabak verhört mit der Begründung, Feindesland betreten zu haben. Man drohte mir mit Gefängnis und einer Geldstrafe, sollte ich es wiederholen.

Wegen meiner klaren Haltung und meiner Unterstützung für freiheitsbezogene Themen wurde ich inoffiziell von einigen Festivals boykottiert.

Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt, ob das alles nötig ist? Warum sollte ich mich als Künstlerin, Sängerin und Komponistin der Gefahr aussetzen und mich so demütigen und bedrohen lassen?

Die Antwort ist immer die gleiche: Palästina lehrte mich, die Freiheit als das Allerheiligste zu ehren. Palästina lässt sich nicht zerteilen und nach Belieben deuten. Es lässt sich auch nicht individuell maßgeschneidert zusammenflicken.

Ich stellte fest, dass ich nicht in der Lage war, die Rolle des Zuschauers einzunehmen oder über Palästina zu reden, über Tötung und Vernichtung, über die Mauer und die Blockade – Informationen, die ich wie jeder gewöhnliche Mensch auch aus den Medien hörte. Ich stellte fest, dass ich in meinen Liedern oder meinen Stellungnahmen nicht auszudrücken vermochte, was sich in Palästina ereignete, ohne real zu erleben, wie sich die Belagerung für einen Bewohner des Flüchtlingslagers oder die Bombardierung und das stundenlange Warten an den Checkpoints anfühlt. Um – an erster Stelle – mit mir selbst und an zweiter mit den anderen – ehrlich zu sein, musste ich all diese bitteren Erfahrungen machen, damit ich über Palästina reden kann.

Ich erinnere mich, dass ich zu Beginn der zweiten Intifada – Israel bombardierte mit F 16-Flugzeugen und Apache-Kampfhubschraubern palästinensische Städte, Dörfer und Viertel – nicht zögerte, die Einladungen zu Solidaritätskampagnen in den Orten, die bombardiert wurden, anzunehmen. Während meiner Besuche in den Flüchtlingslagern, um dort als Ablenkung zu singen für die durch Bombardierung von Häusern und vom Anblick von Blut und Zerstörung verängstigten Kinder, entkam ich mehrere Male dem Tod nur knapp und wurde ein paar Mal verletzt.

Auch in meiner Erkrankung an Brustkrebs fand ich eine Lehre. Es gab für mich einen starken Grund, ihr Widerstand zu leisten. Denn die Krankheit ist wie eine Besatzung, der ich Widerstand leisten musste, wie ich der Besatzung Palästinas Widerstand leistete. Beide, die Krankheit und die Besatzung, belagerten unsere Körper gegen unseren Willen. Diese Idee hat mir sehr geholfen, geheilt zu werden.

Ich möchte an dieser Stelle einige Personen nennen, die in meinem Leben einen großen Einfluss auf mich hatten. Als erstes wäre meine Mutter zu nennen. Dann die palästinensische Kämpferin Leila Khaled, die algerische Kämpferin Dschamila Bouhairad, die libanesische Kämpferin Sana‘ Haidali. Für mich stehen diese Frauen für die Bedeutung von Widerstand, ja sogar von Freiheit. Jede von ihnen wählte den schwierigsten Weg für ihre Sache. Es gibt verschiedene Wege des Widerstandes, aber das Ziel ist immer das gleiche: Es ist, die Freiheit für das Vaterland zu erlangen, gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung Widerstand zu leisten und das Leiden des Volkes zu beenden.

Schließlich möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mich unterstützt, mir Beistand geleistet und an meinen Fähigkeiten und Prinzipien geglaubt haben: meinen Kindern Bailisan, Qumran und Orsalem, meiner Mutter, der Dichterin Zahira Sabbagh, meinem Bruder Firas Banna, meinen Freunden, die mir im Glück und in Krisenzeiten beigestanden haben, und bei Eric Hillestad aus Norwegen, Produzent meines Musikalbums. Ohne ihn und der Culture Church St. Jakob (KKV) hätten meine Lieder nicht so schnell in Europa und sogar in der arabischen Welt Verbreitung gefunden.

Erlauben Sie mir noch, meinen Gruß an den Menschen zu richten, der mein Leben stark beeinflusst hat, insbesondere auf menschlicher und kreativer, musikalischer Ebene. Er befindet sich immer noch in Aleppo, trotz der dort weiter gehenden Bombardierung und Zerstörung. Danke für alles, Nabil Samarji!

Ich danke auch meinen Freunden auf Facebook und Twitter und allen, die mich unterstützen, ermutigen und motivieren, weiter zu machen.

Ich möchte mich hier auch herzlich beim Ibn Rushd Fund für den Ibn Rushd Preis für Freies Denken 2013 bedanken und bei den Mitgliedern der Jury, die mich gewählt haben.

Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.

Mein letzter Dank gilt Palästina, dem Land, das mich geboren hat und immer die Quelle meiner Inspiration bleiben wird.

Danke


Rim Banna

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