Eine kurze Würdigung von Heinrich Heine’s Drama „Almansor“ von Dr. Tawfiq Dawani

Über Heinrich Heine (1797-1856) ist so viel geschrieben und gesagt worden, dass es fast überflüssig erscheint noch etwas Neues zu ihm hinzufügen. Bemerkenswert ist jedoch, dass obwohl wir im Gedenkjahr Heine’s leben und es viele Berichte, Beiträge und Diskussionen zum Leben und Werk des Dichters gab, das Stück Almansor von keinem deutschen Kritiker gewürdigt wurde. Erstaunlich erscheint auch die Tatsache, dass viele Intendanten und Spielleiter Heine’s Almansor gar nicht kennen. Auch wird das Stück auf deutschen Bühnen kaum aufgeführt.
Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht der Tunesier Mounir Fendri dar, einer der besten Kenner Heine’s , der vor kurzem in einem Beitrag bei qantara.de 2006 die richtigen Worte fand, dieses Stück gebührend zu würdigen und es in einen historischen Bezug zum Gesamtwerk des Dichters, sowie in einen Kontext zu seinem Leben als deutscher Jude in einer sehr unruhigen Zeit, die von antijüdischen und fremdenfeindlichen Ausschreitungen gekennzeichnet war, zu stellen.
Dabei ist diese Tragödie nicht alleine für den arabischen Leser und Theaterfreund von höchstem Interesse, sondern ebenso auch für das deutsche oder europäische Publikum.
Wie kein anderes Stück Heine’s besitzt gerade dieses, durch seine interkonfessionelle und interkulturelle Dimension und seiner schwangeren historischen Bedeutung und Thematik eine ungeheure Aktualität. Thematisch kann der Bogen hier vom Fall Granada’s 1492 bis zum zweiten Fall von Bagdad 2003 gespannt werden.
Konflikte, Kriege, Vertreibungen haben nicht aufgehört zu existieren. Genauso sind Liebe, Sehnsucht, Schmerz und Hoffnung allzu menschlich. Gerade heute wo in der Öffentlichkeit über solche Fragen wie die des Kopftuchverbots, des Umgangs mit dem politischen Islam oder auch der Fremdenfeindlichkeit diskutiert wird und wo der Begriff des Kulturkampfes in manchen Kreisen kein Tabuthema mehr darstellt, gewinnt das Stück Almansor in historischer, literarischer und thematischer Hinsicht an Bedeutung. Es schlägt nicht nur Brücken zwischen den Kulturen in dieser brisanten Zeit, auch lässt es uns tief in die menschliche Seele der Helden und Figuren blicken und offenbart uns des weitern sehr viel über die jüdische Identität des Autors und seine Zeit.

Die Entstehung,die Quellen und die Orientschwärmerei

Die Tragödie Almansor gilt als ein Frühwerk, wenn auch nicht als Erstlingswerk Heine’s. Mit diesem begann er 1820 in Bonn / Beuel, fortgesetzt und überarbeitet hat er es in seiner Göttinger Zeit. Beendet hat er es nach langer Unterbrechung erst in Berlin, wo es dann im Ferdinand Dümmler Verlag 1823 erschien.
„In diesem Stück“ so schreibt Heine in einem Brief an seinen Studienfreund Friedrich Steinmann, „habe ich mein eignes Selbst hineingeworfen, mit samt meinem Paradoxon, meiner Weisheit, meiner Liebe, meinem Hasse und meiner ganzen Verrücktheit“.
Wie der Dichter in der Einleitung seines Dramas bekundet, hat Heine sich streng an die klassische Regel Aristoteles gehalten, was die Einheit von Ort, Zeit und Thematik betrifft. Die Handlung spielt bis auf den Anfang und den Schluss an ein und demselben Ort und dauert kaum mehr als 24 Stunden. Jedoch benutzte er gleichzeitig den Dialog als Stilmittel wie es etwa Voltaire in seinem Stück Zaire und Racine in seinem Stück Phèdre getan haben.
Genau diese Mischung aus klassischen und romantischen Elementen brachte Heine schon zu Lebzeiten viel Kritik ein. Heine’s Stil ist kein pur romantischer. In vielen Passagen von Almansor und besonders in Romanzerro klingt seine Quartettdichtung wie die andalusischen Muwashahat.  Die Reaktionen, die das Stück hervorrufen könnte, scheint er im Voraus zu erahnen. Er schreibt an den besagten Freund „wenn das Stück nicht gefallen wird, so wird es mindestens groß auffallen“. Zu seinen Lebzeiten wurde das Stück nur einmal in Braunschweig 1823 aufgeführt und musste wegen der Proteste des Publikums, das es als antichristlich empfand, abgebrochen werden:
Hören wir uns Heine’s Einleitung im Wortlaut an:
Glaubt nicht, es sei so ganz und gar phantastisch
Das hübsche Lied, das ich euch freundlich biete!
Hört zu: es ist halb episch und halb drastisch,
Dazwischen blüht manch lyrisch zarte Blüte;
Romantisch ist der Stoff, die Form ist plastisch,
Das Ganze aber kam aus dem Gemüte;
Es kämpfen Christ und Moslem, Nord und Süden,
Die Liebe kommt am End und macht den Frieden.
Damit ist das Thema vordergründig grob erfasst!

Wie andere Autoren vor und nach ihm, etwa Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832), Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781), Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) oder August Wilhelm Schlegel (1767 – 1845) blieb Heine von der Ende des 18. Anfang des 19. Jahrhunderts entfachten Faszination für den Orient nicht verschont. Spätestens seit der ersten Übersetzung von 1001 Nacht durch den Franzosen Antoine Galant (1664 – 1715) – erschienen 1704 und 1719 – wird der Orient zum Genre für zahlreiche Literaten. Das alte Bild von den wilden und ungläubigen Arabern und Orientalen, oder dem fanatischen „Mahmoutianer“ der in trostlosen Wüsten wohnt, weicht einem neuen romantischen Bild vom Orient. Man entdeckt zahlreiche weise Erzählungen, Liebesgeschichten, Emire, Wesire, Ginnis, Zauberer und Hurries. Zu dieser Zeit stellt der Orient ein weites Feld für die poetische Phantasie dar und bildet einen Fluchtort für die Literaten vor der aufsteigenden Rationalität und Industrialisierung. Victor Hugo schreibt um 1829 „Zur Zeit von Louis 14. waren wir Hellenen und jetzt sind wir Orientalen“. Überhaupt scheinen die Arbeiten dieser Autoren von zahlreichen Publikationen zum Orient beeinflusst worden zu sein. Hier sind die berühmte Enzyklopädie Herbolts „Bibliothek Oriental…“ erschienen 1697 – sowie die Koranübersetzung Georg Sales, die 1746 auf Deutsch vorlag, zu erwähnen.
In wieweit Heine der Faszination Orient erlag, kann man an zahlreichen Stellen deutlich lesen:
O sprich zu ihr: Zuleima steig herunter
Aus deines Marmorschlosses güldnen Kammern,
Und schwing dich auf Almansors edles Roß.
Im Lande, wo des Palmbaums Schatten kühlen,
Wo süßer Weihrauch quillt aus heil’gem Boden,
Und Hirten singend ihre Lämmer weiden;
Dort steht ein Zelt von blendend weißer Leinwand,
Und die Gazelle mit den klugen Augen,
Und die Kamele mit den langen Hälsen,
Und schwarze Mädchen mit den Blumenkränzen,
Stehn an des Zeltes buntgeschmücktem Eingang,
Und harren ihrer Herrin – O Zuleima,
Dorthin, dorthin entfliehe mit Almansor.

Heute wissen wir anhand der Ausleihverzeichnisse der Uni Bonn, dass Heine für Almansor fast alle Bücher, die sich mit der Geschichte Andalusiens oder wie es damals hieß, mit der Geschichte der Mauren, d.h. der Araber befassten, ausgeliehen und für sein Drama benutzt hat. Besonderes Augenmerk schenkte er der Inquisition nach dem Fall Granada’s 1492 und ihrem Erneuerer Kardinal Ximenes bzw. Jimenes, der mit Bücher- und Menschenverbrennung aufwartete und den christlichen Glauben in Andalusien mit Gewalt durchsetzte. Weiter wissen wir heute anhand der Quellenstudien, dass Heine sowohl Bescheid über die Sitten und Gebräuche der Mauren oder Araber wusste, wie er auch die Mu’allaqat – die vorislamischen Gedichte – kannte, die ihm in einer Übersetzung von Anton Theodor Hartmann (1774-1838) vorlagen. Ebenfalls war ihm die Geschichte von Majnoun und Leila in ihrer persischen Fassung von Dschami wohl bekannt und diente als Motiv bei seinem Haupthelden Almansor. Heine’s Interesse am Orient als Genre spiegelt sich nicht nur in diesem Drama, sondern in den Werken: Don Ramiro 1817, der Mohrenkönig oder Jehuda ben Halevey 1815, der Rabbi von Bacharach (1824) und in Donna Clara und Almansor 1826 wieder.
Aufgrund der Wahl des Ortes, der Zeit und der Helden wird die Tragödie Almansor generell als „maurisch“ bezeichnet. Doch im Gegensatz zu vielen spanischen und europäischen Autoren vor und nach Heine, die die Leiden der Christen unter den Muslimen in Andalusien schildern, und die Reconquista als Sieg des Christentums gegenüber dem Islam huldigen, zeigt der Dichter schon im ersten Monolog seines Helden Almansor, auf wessen Seite seine wahren Sympathien liegen.
Still bleibt’s! Nur du, o Sonne, hörtest mich;
Mitleidig schickst du mir die letzten Strahlen,
Und streust mir Licht auf meinen dunkeln Pfad!
Du, güt’ge Sonne, hör mein dankbar Wort:
Entflieh auch du nach Mauritaniens Küste,
Und nach Arabiens ewig heitrer Flur; –
Oh, fürchte Don Fernand und seine Räte,
Die Haß geschworen allem schönen Lichte;
Oh, fürchte Donna Isabell, die Stolze,
Die, im Gefunkel ihrer Diamanten,
Allein zu glänzen glaubt, wenn Nacht ringsum;
Oh, flieh auch du den schlimmen, span’schen Boden,
Wo schon gesunken deine Schwestersonne,
Die goldgetürmte, leuchtende Granada!


Die Handlung
Die Ereignisse dieser Tragödie spielen sich kurz nach dem Fall Granada’s 1492, d.h. des Falles des letzten arabischen Königreiches in Andalusien oder auf spanischen Bodens durch die vereinigten Kräfte von Ferdinand dem König Aragoniens und Isabella der Königin von Kastilien, ab. Nach dem Sieg der Spanier und der Abreise von Boabdil, dem letzten König der Mauren, stellten die Sieger die Muslime Andalusiens vor die Wahl, das Christentum anzunehmen oder das Land zu verlassen. Vor diese Wahl gestellt, zieht es ein arabischer Adliger namens Abdullah mit seiner Frau Fatima vor, seinen Glauben zu behalten und das Land zu verlassen um in den Jemen, „das Land der Urväter“ zurückzukehren. Er nimmt seinen jungen Sohn Almansor mit ins Exil. Hassan aber, der ehemalige Diener Abdullahs, lehnt es ab, sich zum Christentum zu bekennen. Statt auszuwandern, bleibt er in Andalusien und mit einer Schar von anderen Gläubigen verschanzt er sich in den umliegenden Bergen Granada’s und organisiert bewaffnete Überfälle auf die christlichen Spanier. Der gute Ali dagegen, ebenfalls ein arabischer Adliger und der beste Freund von Abdullah, schlägt den umgekehrten Weg ein und beschließt in Spanien zu bleiben, sowie das Christentum anzunehmen. Genauso verfährt auch seine schöne Tochter Zuleima, die sich jetzt Donna Clara nennt, während Ali sich Don Conzalvo nennt. Diese Tatsache führt zu einer tiefen Feindschaft zwischen den ehemaligen Freunden.
Im Laufe der Tragödie stellt sich heraus, dass Zuleima die leibliche Tochter von Abdullah und Fatima ist, und Almansor der leibliche Sohn von Ali. Abdullah und Ali haben nach dem Tod von Alis Frau, um ihre Freundschaft zu vertiefen, die beiden Kinder (Almansor und Zuleima) im Säuglingsalter verlobt und ausgetauscht, damit die Eltern der jeweils anderen Partei, die Kinder so erziehen können, dass sie später die idealen Ehepartner für einander abgeben.
So wachsen die beiden Kinder gemeinsam auf, ohne die wahre Geschichte des Austausches zu kennen. Zwischen ihnen entwickelt sich eine große Liebesgeschichte. Mit dem Fall Granada’s und durch die politischen Ereignisse trennen sich die Liebenden. Während Almansor mit seinem vermeintlichen Vater Abdullah in die Weiten Arabiens zieht und in den Jemen auswandert, wo sich seine Spuren verlieren, er gar für tot gehalten wird, bleibt Zuleima mit ihrem vermeintlichen Vater Ali in dessen Palast bei Granada.
Nach dem Tod von Abdullah und Fatima beschließt Almansor Arabien zu verlassen und seine ursprüngliche Heimat zu besuchen, um seine Geliebte Zuleima zu suchen. In spanischer Tracht verkleidet, erreicht er den Palast von Abdullah, wo er aufwuchs und trifft dort auf Hassan und seine Freunde, die ihn überfallen und beinah töten, bevor Hassan ihn wieder erkennt.
Nach diesem lang ersehnten Wiedersehen und dem Austausch von Nachrichten offenbart Almansor Hassan den wahren Grund seiner Ankunft, nämlich den Palast von Ali aufzusuchen, um Zuleima zu treffen. Hassans Versuche, Almansor von diesem Vorhaben abzuhalten scheitern.
So erscheint Almansor unter Zuleimas Balkon, die einstige Geliebte erkennt ihn wieder und versucht ihn davon zu überzeugen, Christ zu werden. Almansor widerspricht diesem Wunsch seiner Geliebten nicht. Er ist durch seine Liebe bereit dazu.
Als dann auf einmal die Kirchenglocken schlagen und Zuleima Almansor offenbart, dass sie noch in dieser Nacht einen Spanier namens Don Enrique heiraten will, schlägt Almansors Liebe in Hass um. Er ist zutiefst enttäuscht und beschließt Selbstmord zu begehen. Just in dem Moment indem er Selbstmord begehen will, erscheint der alte Hassan und überzeugt den niedergeschlagenen und verzweifelten Almansor Zuleima mit Waffengewalt zu entführen. So überfällt Almansor mit Hilfe von Hassan und seinen Freunden den Palast und sie stürmen den Hochzeitsaal. Im heftigen Kampf wird Hassan tödlich verletzt. Mit dem letzten Atemzug offenbart er Ali, dass der Ritter mit der roten Tracht der Zuleima entführt, sein Sohn Almansor ist.
So eilt Ali um seinen Sohn zu umarmen und ihn zum Ehemann von Zuleima zu erklären. Aber der Zug ist schon abgefahren. Inzwischen nämlich, ist der verwundete Almansor mit der bewusstlosen Zuleima weggerannt und auf eine hohe Felswand gestiegen. Dort angelangt, fängt er an zu phantasieren und identifiziert sich mit seinem Vorbild Majnoun, wobei er seine bewusstlose Geliebte für ein verwundetes Reh hält. Derweil erwacht Zuleima aus ihrer Bewusstlosigkeit und wähnt sich im Himmel, wo sie ohne „Verstellungskünste“ sein kann. Beide versichern sich mehrfach ihre Liebe. Als dann beide die nahenden spanischen Ritter mit dem Geklirre ihrer Waffen vernehmen, die gekommen sind, um sie zu suchen, bekommt Almansor Angst und stürzt sich mit seiner Zuleima in den Tod im Glauben an ein besseres Jenseits. Das abschließende Wort hat der stoisch versteinerte Ali:
Jetzt, Jesu Christ, bedarf ich deines Wortes,
Und deines Gnadentrosts, und deines Beispiels.
Der Allmacht Willen kann ich nicht begreifen,
Doch Ahnung sagt mir: ausgereutet wird
Die Lilie und die Myrte auf dem Weg,
Worüber Gottes goldner Siegeswagen
Hinrollen soll in stolzer Majestät.

Die Charaktere
Während die Handlung den folgenschweren Ereignissen nach dem Fall Granada’s entlehnt ist, entstammen die Figuren den beiden konfessionellen Lagern, dem Christentum und dem Islam.

Die islamischen Figuren.
Zu dieser Gruppe gehören Ali und seine Tochter Zuleima, die jetzt Don Conzalvo und Donna Clara heißen. Auch wenn Ali als Apostat oder Renegat gilt, so behandelt ihn Heine äußert vorsichtig, fast liebevoll und zeigt Verständnis für sein Bleiben im kultivierten Andalusien oder in Hispanien, wie er es nennt. Dieses Schicksal teilt auch der Diener Alis, ein gewisser Hamamah, eine tragikomische Figur, der nach der Taufe den typischen Dienernamen Pedrillo erhielt. Zu jenen Maurenchristen oder Moriscos, gehört ebenso Zuleima oder Donna Clara, die von einer Amme und einem nicht genannten Abt in einem soliden christlichen Glauben erzogen wurde. Heine stattet Zuleima mit naiven, passiven und weltfremden Charakterzügen aus. Sie ist dem Willen des Abtes vollkommen ausgeliefert. Von einem Glaubenskonflikt ist bei ihr keine Spur zu finden. Den anerzogenen neuen Glauben hat sie völlig verinnerlicht.
Die Hauptfigur Almansor gehört dagegen zur zweiten Gruppe der Muslime. Er hat Andalusien nicht aus freien Stücken verlassen, mit seinen vermeintlichen Eltern war er gezwungen, ins ferne Exil zu gehen. Heine ist bei seinem Haupthelden sehr bestrebt, Almansor in Denken, Sprache und Charakter als bewussten Araber und Muslim erscheinen zu lassen. Er wird mit typischen Eigenschaften ausgestattet, die damals dem abendländlichen Idealbild von einem Araber entsprachen. Er ist gastfreundlich, dichterisch begabt, stammt aus einer uralten nobeln Familie aus dem Jemen, ist ritterlich erzogen und hat die Pilgerfahrt nach Mekka absolviert. Schließlich ehrt er die Frauen und liebt das Schöne.  
Auch wenn Almansor in seiner Eifersucht Don Enrique, den Verlobten seiner Angebeteten als „spanischen Hund „ bezeichnet, ist er nicht fanatisch und hasserfüllt, obwohl er vom Leiden und dem Exil tief gezeichnet ist, zeigt er im Dialog mit Zuleima seine Bereitschaft einen Kompromiss einzugehen und das Christentum anzunehmen, um endlich mit seiner Geliebten in Frieden zu leben. Als Zuleima ihn aber zurückweist, erscheint für ihn der Glaubensunterschied als nicht mehr hinnehmbar oder überbrückbar. Schließlich lässt Heine Almansor verrückt werden und sich vollkommen mit dem arabisch-persischem Motiv von Majnoun und Leila identifizieren, wenn er deklamiert:
Das kluge Männlein, das im Kopf mir wohnte
Ist ausgezogen und in meinem Schädel
Spinnt eine Spinne ihr friedliches Gewebe

Schließlich repräsentieren Hassan, der ehemalige Diener Abdullahs und seine Glaubensbrüder, die Desperados in den Bergen die dritte Gruppe. Hassan wird mit fürs Abendland typisch negativen Eigenschaften ausgestattet. Er sucht die Blutrache, führt einen defensiven Krieg, er rühmt den Gihad, benutzt islamische Floskeln – Gelobt sei Allah, Allah sei gelobt – oder – Alhamdulilah, lilahi al hamd – oder was Allah tut ist wohlgetan – . Schließlich lässt ihn Heine den Glaubenstod im Kampfe gegen die Spanier sterben. Im Todeskampf lässt er ihn die schönen schwarzäugigen Hurries sehen.
Heine legt Hassan diese an Almansor gerichteten Worte in den Mund und prangert die Inquisition an:
Geh nicht nach Alis Schloß! Pestörtern gleich
Flieh jenes Haus, wo neuer Glaube keimt.
Dort zieht man dir, mit süßen Zangentönen,
Aus tiefer Brust hervor das alte Herz,
Und legt dir eine Schlang dafür hinein.
Dort gießt man dir Bleitropfen, hell und heiß,
Aufs arme Haupt, daß nimmermehr dein Hirn
Gesunden kann vom wilden Wahnsinnschmerz.
Dorten vertauscht man dir den alten Namen,
Und gibt dir einen neu’n; damit dein Engel,
Wenn er dich warnend ruft beim alten Namen,
Vergeblich rufe. Oh, betörtes Kind,
Geh nicht nach Alis Schloß; – du bist verloren,
Wenn man in dir Almansorn wiedersieht!

Die christlichen Figuren
Diese sind Don Enrique – Zuleimas oder Donna Claras – Verlobter und sein Gefängniskumpel Don Diego. Die beiden entpuppen sich als Gauner und Hochstapler, die kaum aus dem Gefängnis entlassen, den Plan schmieden, durch Schwindel und Vorgabe falscher Identitäten und mittels einer Eheschließung zum Reichtum zu gelangen.
Dieses Schwindelmotiv unterstützt Heine auch indem er den Abt als käuflichen Geistlichen darstellt. So lässt er Don Diego auf die Frage von Don Enrique, wie er dem Abt zum Hochzeitsfest einlud mit folgenden Worten antworten:
Die Pfaffen sind ja auch vom Handwerk Senor,
Und heilige Männer haben heilige Zwecke
Und brauchen Gold für ihre Kirchenkelche.
Auch solche Aussagen, wie die von Zuleima, als sie sich im Paradies wähnt und Almansor ihre Liebe versichert, verdeutlichen Heine’s nicht sonderlich hohe Meinung von dem Klerus:
Denn unser frommer Abt hat mir versichert:
Dass nur wer Christ ist, selig werden kann.
So log der fromme Mann, er sagte auch,
den edlen Don Enrique müsste ich lieben.
In seiner Kritik an den christlichen Siegern und ihrer Inquisition lässt Heine den Abt mit folgenden Worten sprechen:
Das war ein herrliches Autodafe!
so etwas labt das Herz des frommen Christen.
Und schreckt die starren Sünder auf den Bergen –
Christlich ist auch eine Anzahl von spanischen Rittern und Damen, die Nebenrollen bekleiden. Im gesamten Kontext sind sie von Belang und dienen dazu arabische Sitten und Gebräuche als minderwertig darzustellen oder das islamische Verbot von Weingenuss und den Verzehr von Schweinefleisch ins Lächerliche zu ziehen, oder auch um abfällige Bemerkungen über den Propheten Mohammed zu machen.
Kurz gefasst handeln und urteilen alle christlichen Figuren in dem Drama aus der Position der Stärke und aus der Warte der Sieger. Es geht hier um die Durchsetzung der eigenen ökonomischen und konfessionellen Interessen. Nicht die Muslime, die Konvertierten, Apostaten und Renegaten werden angeprangert, sondern die siegreichen, untoleranten, christlichen Inquisitoren.
Folgende Passagen vermögen uns jene Entfremdungs- und Identitätskonflikte, die Heine in seinem Stück anspricht zu verdeutlichen.

Almansor vor Alis Palast. Er klopft laut:
Macht auf! macht auf! ein Gast will übernachten!
Die Schloßtüre öffnet sich. Pedrillo erscheint mit einem Armleuchter; er bleibt in der Türe stehen.
Pedrillo:
Beim heiligen Pilatus! Ihr klopft stark;
Auch kommt Ihr spät zum Ball, er ist schon aus.
Almansor:
Ich suche keinen Ball, ich such ein Obdach;
Bin fremd und müd, und dunkel ist die Nacht.
Pedrillo:
Beim Barte des Propheten – ich wollt sagen
Der heiligen Eli – Elisabeth –
Das Schloß ist keine Herberg mehr. Unweit
Von hier steht so ein Ding, das nennt man Wirtshaus.
Almansor:
So wohnt allhier nicht mehr der gute Ali,
Wenn Gastlichkeit aus diesem Schloß verbannt ist.
Pedrillo:
Beim heil’gen Jago von – von Compostella!
Nehmt Euch in acht, denn Don Gonzalvo zürnt,
Wenn man ihn noch den guten Ali nennt.
Zuleima nur, Schlägt sich vor die Stirne. wollt sagen Donna Clara,
Darf noch den Namen Ali nennen. Ali,
Der irrt sich auch, und nennt sie oft Zuleima.
Auch ich, ich heiße jetzt nicht mehr Hamahmah,
Pedrillo heiß ich, wie in seiner Jugend
Der heil’ge Petrus hieß; und auch Habahbah,
Die alte Köchin, heißt jetzt Petronella,
Wie einst die Frau des heil’gen Petrus hieß;
Und was die alte Gastlichkeit betrifft,
So ist das eine jener Heidensitten,
Wovon dies christlich-fromme Haus gesäubert.
Gut Nacht! Ich muß jetzt leuchten unsern Gästen,
Es ist schon spät, und manche wohnen weit.
Er geht ins Schloß zurück und schlägt die Pforte zu. Im Schlosse wird es bewegter.
Almansor allein:
Kehr um, o Pilger, denn hier wohnt nicht mehr
Der gute Ali und die Gastlichkeit;
Kehr um, o Moslem, denn der alte Glaube
Ist ausgezogen längst aus diesem Hause;
Kehr um, Almansor, denn die alte Liebe
Hat man mit Hohn zur Tür hinausgestoßen,
Und laut verlacht ihr leises Todeswimmern.
Verändert sind die Namen und die Menschen;
Was ehmals Liebe hieß, heißt jetzo Haß. –
Doch hör ich schon die lieben Gäste kommen,
Und gar bescheiden geh ich aus dem Weg.


Eine historische Analyse
 Was mag Heine veranlasst haben, dieses Drama zu schreiben? Ist diese Tragödie etwa eine Reflektion seiner gescheiterten Liebe zu seiner Kusine Amalia, die Tochter seines Onkels, dem Bankier Salamon, die Heine zurückwies um einen anderen Mann zu heiraten, den Heine verachtete? Zuleima würde dann für Amalia stehen, ihr Mann für Don Enrique und Heine selbst würde in die Rolle von Almansor schlüpfen.
Heine selbst bestreitet die privaten Motive in diesem Drama keinesfalls. Jedoch reichen sie nicht aus um die Frage zu beantworten warum der deutsche jüdische Dichter seine Handlung nach Andalusien zur Zeit nach dem Fall Granada’s trägt und eine eindeutige Stellungnahme zu Gunsten der Muslime bezieht. Vielmehr ist das Drama Almansor im Lichte der sozialen und politischen Geschehnisse zu Heine’s Zeit zu sehen. Die angeblich antichristliche Haltung, die man ihm vorwarf, – man erinnere sich an die erste Aufführung in Braunschweig 1823, die von Deutschnationalen mit Gewalt unterbrochen wurde- erscheint bei genauer historischer Betrachtung als eine revolutionäre Haltung gegen die deutsch konservativen nationalen Kräfte, die nach der endgültigen Niederlage Napoleons und dem Wiener Kongress (1814/1815) die alten Verhältnisse wiederherzustellen suchten und alles Französische, Fremde und Jüdische ablehnten, ja bekämpften. Genau gegen diese Teutschtümelei, und nicht das Christentum, richtet sich Heine’s Kritik. Dabei dient, wie Sarjoun Karam im arabischen Vorwort dieses Buches ausarbeit, der Araber dem Dichter als Maske um deftige Kritik an den gesellschaftlich politischen Verhältnissen im Deutschland seiner Zeit auszuüben. Zu Heine’s Zeit wurden die Juden in Deutschland und anderswo in Europa wieder verfolgt. Man erinnere sich daran, dass unter Napoleon die Juden in Deutschland gleiche bürgerliche Rechte und Pflichten erhielten. Doch die Blütezeit der rechtlichen Gleichstellung der Juden und den damit gewährten Freiheiten war von kurzer Dauer. Mit der Wiener Konferenz ruderte das Ancien Regime zurück. Jene Gerissenheit die der Senator Smith von Bremen in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretär des Wiener Kongresses Friedrich von Gentz 1815 an den Tag legte, trägt alle Merkmale eines juristisch diplomatischen Gaunerstücks. In der Gesetzesvorlage, die die Stellung der Juden in Deutschland betraf, tauschte man zwei kleine Präpositionen aus.
Dort heißt es ursprünglich: „ Jedoch sollen den Juden bis dahin die in den Bundesstaaten bereits eingeräumte Rechte erhalten bleiben. Durch die neue Leseart mit der Präposition „von“ konnten einige Bundesstaaten, etwa Lübeck, Hamburg, Bremen, Oldenburg und andere Regionen an der Nordsee, die Judenrechte wieder beschneiden. Nicht zuletzt sind hier auch die Hep-Hep Unruhen zu erwähnen. Diese entfachten sich zuerst in August 1819 und breiteten sich feuerartig über ganz Deutschland aus. Dass Heine, als Jude wenn auch nicht sonderlich gläubig, in den „Hep Hep Jud Verreck“ Schreien des Pöbels und dem Niederbrennen ihrer Geschäfte eine Gefahr sah, ist all zu verständlich. Auch wenn Heine formal zum protestantischen Christentum übertrat, sich Taufen lies und seinen Namen von Harry zu Heinrich änderte, behielt er seine Identität als deutscher Jude. Jene Stellen in Almansor, die die christlichen Sieger in Andalusien anprangern, können ebenso gut als Kritik an den sozial politischen Verhältnissen seiner Zeit gelesen werden.
Almansor:
Verlange nicht ein Klagelied, laß schlummern
Die lieben Toten und Almansors Schmerzen.
Du sahst ja damals, wie auf schwarzem Roß
Der gute Ali hergebracht das Unglück.
Nie kommt das Unglück ohne sein Gefolge!
Tagtäglich kamen aus Granada schlimmre
Botschaften her; und wie der Wandrer schnell
Sich mit dem Antlitz auf den Boden wirft,
Wenn ihm entgegenweht der glühnde Samum,
So stürzten wir oft weinend hin zur Erde
Daß uns der Kunden gift’ger Hauch nicht töte.
Bald hörten wir vom Abfall unsrer Priester,
Der Morabiten und der Alfaquis; –
Hassan:
Gibt’s irgendwo ’nen Glauben zu verschachern,
So sind zuerst die Pfaffen bei der Hand.
Almansor:
Bald hörten wir daß auch der große Zegri,
In feiger Todesangst, das Kreuz umklammert;
Daß vieles Volk dem Beispiel Großer folgte,
Und Tausende ihr Haupt zur Taufe beugten; –

Zwischen 1820 und 1840 machte sich in Deutschland das, was orthodoxe Juden als „Taufenkrankheit“ nannten, breit. Wie nach dem Fall von Granada, als die Muslime und die Juden zum Christentum übertreten mussten um in ihrer Heimat zu bleiben, traten zu dieser Zeit in Deutschland viele Juden zum Christentum über. Diese Übertritte, waren eine Art „Eintrittskarte“, die man in der Hoffnung gesellschaftlich und politisch integriert zu werden und gleiche Rechte zu erlangen, löste.
Gleichzeitig war Heine von Deutschland so angeekelt, dass er seinem Freund Christian Stehe schrieb: „ Alles was Deutsch ist, ist mir zu wider. Die deutsche Sprache zerreißt mir die Ohren, sogar das Schreiben dieses Billets ekelt mich an, wenn ich sehe, dass es auf Deutsch geschrieben ist“.
Auch in diesem Dialog zwischen Almansor und Hassan, als sie sich die letzten Neuigkeiten vom Fall Granada’s gegenseitig schildern, wird Heine’s Haltung gegenüber dem Klerus und der Zwangstaufe deutlich. Seine Worte muten hier fast prophetisch an.

Hassan:
Der neue Himmel lockt viel’ alte Sünder.
Almansor:
Wir hörten daß der furchtbare Ximene
Inmitten auf dem Markte, zu Granada –
Mir starrt die Zung im Munde – den Koran
In eines Scheiterhaufens Flamme warf!
Hassan:
Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher
Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.
Auch diese Stellen erinnern sehr stark an die Leiden der Juden zu Heine’s Zeiten sowie an die Leiden aller Vertriebenen unserer Zeit egal ob sie aus Palästina, Bosnien, Afrika oder Europa stammen.
Dort saß er schweigend, ohne Speis und Trank,
Drei Tage lang. Doch wie er da hervorkam,
Schien er wie umgewandelt. Ruhig war er,
Befahl den Knechten: all sein Hab und Gut
Auf Maultier‘ und auf Wagen aufzuladen;
Befahl den Weibern: uns mit Wein und Brot,
Für eine lange Reise zu versorgen.
Als das geschehn, nahm er in seine Arme,
Und trug es selbst, das allerbeste Kleinod
Die Rolle der Gesetze Mahomets,
Dieselben alten, heil’gen Pergamente,
Die einst die Väter mitgebracht nach Spanien.
Und so verließen wir der Heimat Fluren,
Und zogen fort, halb zaudernd und halb eilig,
Als wenn es unsichtbar, mit weichen Armen
Und schmelzend lieber Stimm, uns rückwärts zöge,
Und dennoch Wolfsgeheul uns vorwärts triebe.
Als wär’s ein Mutterkuß beim letzten Scheiden,
So sogen wir begierig ein den Duft
Der span’schen Myrten- und Zitronenwälder;
Derweil die Bäume klagend uns umrauschten,
Wehmütig süß die Lüfte uns umspielten,
Und traur’ge Vöglein, wie zum Lebewohl,
Uns stumme Wandrer stumm umflatterten.

Man achte hier genau diesen Abschnitt, als Abdullah seinen Weibern befiehlt, Brot und Wein mitzunehmen, und als Abdullah selbst die Rolle der „Gesetze Mahmotes“ oder die heiligen Pergamente trägt. Dass Muslime keine heiligen Rollen besitzen wie die Juden und keinen Wein trinken, war Heine mit absoluter Sicherheit bekannt.
Egal wie wir das Stück interpretieren, biegen beugen und spannen, behält Heinrich Heine’s Alamsor eine spezifische Faszination in thematischer, stilistischer und historischer Hinsicht, sowie eine ungeheure zeitgenössische Aktualität.
Die Aufgabe dieses Stück dem arabischen Leser näher zu bringen, haben wir in dieser Übersetzung zu erfüllen versucht.
Nicht zuletzt hoffen wir auch, dieses Drama bald auf der einen oder anderen Theaterbühne in einer arabischen Inszenierung zu sehen.  
Literatur Nachweise
Alle hier benutzen Quellen werden im arabischen Vorwort erwähnt, deshalb wird hier auf eine gesonderte Aufzählung verzichtet.

Seminar für Sprachen und Kulturen des vorderen Orients
Universität Heidelberg
15.05.2006

Erschienen unter dem Titel „Heinrich Heine – Tradjidia Almansor“ bei Saeh Bookstore, Tripoli, Lebanon 2006, Übersetzung: Dr. Sarjoun Karam.

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