Peter Anton von Arnim
Dorfkirche von Zernikow, Sonntag, 10. August 2003 um 16.30
Bibel und Koran sind zwei Bücher, die Millionen und aber Millionen von Menschen auf dieser Erde als heilige Texte gelten. Aber obwohl sie im gleichen geographischen Raum und in miteinander in Berührung stehenden Kulturkreisen entstanden sind, sind sie doch in ihrer Art grundverschieden. Allerdings ist festzuhalten, dass es zwischen den beiden Texten vielfältige innere Beziehungen gibt. Auf diese werde ich noch zu sprechen kommen. Ich möchte, wie ich das schon letztes Mal getan habe, zunächst jedoch auf den Unterschied zwischen beiden hinweisen, und zwar deswegen, weil ich weiß, wie jemand, der die Bibel von Kindheit auf kennt, aber den Koran zum ersten Mal in die Hand nimmt, an letzteren möglicherweise mit einer falschen Erwartungshaltung herangeht. Mir ist es jedenfalls so ergangen. Bei meinem ersten Versuch, den Koran zu lesen und zu verstehen, war mir, als hätte ich eine falsche Brille auf: Ich erwartete Geschichten wie in der Bibel, und fand zunächst stattdessen ein Geflecht rätselvoller Reden, durchzogen von Geboten und Ermahnungen.
Das hat mit den verschiedenen Entstehungsbedingungen der beiden heiligen Schriften zu tun. Die Bibel ist ja kein geschlossenes Ganzes, sondern ist in zahlreiche einzelne Bücher unterteilt. In den Büchern des Alten Testaments wird erzählt, wie Gott sich dem jüdischen Volk in über einem Jahrtausend seiner Geschichte durch seine Propheten, und dann im Neuen Testament den Menschen allgemein durch Jesus offenbart hat. Nur die Psalmen Davids und das Buch der Apokalypse Johannis sind jeweils einem Teil der Suren des Koran vergleichbar. Der Koran enthält für die gläubigen Muslime eine unmittelbare Botschaft Gottes, die in dessen Auftrag der Erzengel Gabriel einem einzelnen Menschen, dem Propheten Mohammed offenbart hat. (Unter Prophet verstehen übrigens die Muslime nicht so sehr einen Menschen, der die Zukunft voraussagt, als vielmehr einen, der die Erkenntnis Gottes besitzt. Insofern gilt den Muslimen auch Adam als Prophet.) In diesen Reden Gottes wird, sofern sie nicht des Propheten eigenes Leben und das Leben seiner Gefährten betreffen, auf die biblischen Geschichten und andere unter den Bewohnern der arabischen Halbinsel umlaufenden prophetischen Legenden meist nur angespielt, das heißt, deren Kenntnis wird beim Leser bzw. Hörer bereits vorausgesetzt. Die muslimischen Theologen haben deshalb über die Jahrhunderte hinweg eine eigene Sparte ihrer Wissenschaft entwickelt, in der sie sich mit der Untersuchung der ‚asbâb an-nuzûl‘ beschäftigen, der Gründe, unter welchen Umständen und weshalb jeweils ein bestimmter Vers offenbart worden ist.1
Aus dem, was in unserer letzten Vortragsfolge, nämlich über die Pflanzenwelt in Bibel und Koran, gesagt wurde, lässt sich Folgendes festhalten: Die Juden waren in biblischen Zeiten ein Viehzucht und Ackerbau treibendes Volk. (Die Tatsache, dass sie dann später in der Zeit des Exils, in Deutschland etwa bis zum Jahre 1812, per Gesetz vom Ackerbau völlig ausgeschlossen waren, muss von ihnen deshalb als besonders schmerzlich erfahren worden sein). So sind in den verschiedenen Büchern des Alten Testaments die Erfahrungen dieses Volkes aus Jahrhunderten des Ackerbaus, d.h. die Erfahrungen des pfleglichen Umgangs mit der Pflanzenwelt, aufbewahrt. Der Prophet Mohammed hingegen war ein Bürger der Stadt Mekka und gehörte dem Kaufmannsstande an. Der Umgang mit der Pflanzenwelt spielte deshalb in seinem Leben und dem seiner Gefährten nur am Rande eine Rolle. Darunter standen an erster Stelle die Bäume, als Schattenspender und ihrer Früchte wegen, darüberhinaus aber auch aufgrund ihrer Symbolkraft. Insbesondere ist aber der Garten ein Sinnbild und sozusagen ein Vorgeschmack des Paradieses. Das kommt schon in der Sprache zum Ausdruck: Der arabische Ausdruck für Garten: „al djenna“ wird im Koran oft als Synonym gebraucht für Paradies, wie wir ja auch aus der Bibel die Rede kennen vom „Garten Eden“. Natürlich hat sich im islamischen Schrifttum späterer Zeiten auch die Erfahrung der den Islam bekennenden Völker mit der Pflanzenwelt niedergeschlagen. Im Mittelalter stand die arabisch-islamische Medizin in höchster Blüte und war der europäischen weit überlegen, insbesondere auch im Hinblick auf die Heilpflanzenkunde. Als Richtschnur galten den Muslimen dabei die wiederholten Mahnungen des Koran, die Schöpfung der Welt und die darin lebenden Geschöpfe als Zeichen Gottes zu erkennen und zu würdigen. Dabei weisen die Zeichen der Schöpfung und die Zeichen des Buches, d.h. des Koran, in die gleiche Richtung. So heißt es in der 16. Sure mit dem Titel „Die Bienen“ in den Versen 64-67:
* Wir aber gaben dir das Buch nur, damit du ihnen deutest, dasjenige, worüber sie sich streiten, so wie zur Leitung auch und Gnade für alle die da glauben. * Gott hat gesandt vom Himmel Wasser, und hat damit belebt die Erde, nachdem sie tot war; fürwahr, hierin ist ein Zeichen für Leute, die hören. * Und wahrlich, am Vieh habt ihr eine Lehre. Wir geben euch zu trinken von dem, was es in seinem Bauch hat zwischen Blut und Unrat, lautere Milch, leicht eingehend den Trinkenden. * Und von der Frucht der Palme und von den Trauben nehmet ihr ein Rauschgetränk und Nahrung schön. Darin ist fürwahr ein Zeichen für Leute die einsichtig sind.
Und dann, in den Versen 68-69, kommen die schönen Worte über die Biene, die der betreffenden Sure ja den Namen gegeben hat. Demnach verständigt sich der Herr, ganz im Sinne des Heiligen Franz von Assisi, gleichnishaft auch mit den Tieren:
* Und offenbaret hat dein Herr der Biene: Nimm in Bergklüften deine Wohnung, in Bäumen und in dem, was Menschen baun. * Dann iss von allen Früchten, und ziehe in aller Muße die Wege deines Herrn. / Aus ihrem Innern kommt ein Saft von mannigfacher Farbe, in ihm ist Heilung für die Menschen. Siehe, hierin ist fürwahr ein Zeichen für nachdenkliche Menschen.
In der Sure 24 „Das Licht“, im Vers 41 wird der Mensch aufgefordert, es der Kreatur gleichzutun im Lobe Gottes:
* Hast du nicht gesehen, dass Gott preisen alle in den Himmeln und auf Erden, und die Vögel, ihre Schwingen breitend? Jeder hat sein Gebet gelernt und seinen Lobpreis, und Gott weiß, was sie tun.
Zu Anfang der Sure „Die Bienen“, in den Versen 3-8, ist die Rede von der Schöpfung der Welt, des Menschen und des Viehs:
* Erschaffen hat Er die Himmel und die Erde zur Wahrheit. Erhaben ist er über alle Abgötterei. * Erschaffen hat Er den Menschen aus einem Samentropfen; und siehe, nun ist dieser ein offenkundiger Nörgler. * Und das Vieh, Er erschuf es für euch; es liefert euch warme Kleidung und bringt euch Nutzen; und ihr esset von ihm; * Und ein erfreulicher Anblick ist es euch, wenn ihr es abends eintreibt und morgens austreibt; * Und es trägt eure Lasten zu Ländern, die ihr nicht erreichen könntet ohne eigne Mühsal. Siehe, euer Herr ist wahrlich gütig und barmherzig. * Und [er erschuf] die Pferde und die Kamele und die Esel, um darauf zu reiten und zum Schmuck. Und er erschafft, was ihr nicht wisset. *
Dem soeben genannten Kamel kommt im Koran und in der Entstehung der islamischen Urgemeinde eine besondere Bedeutung zu. Im Leben eines orientalischen Kaufmanns spielte in der Zeit vor der Motorisierung das Kamel ja die Hauptrolle als Lastenträger und damit als Haupttransportmittel in den wüstenähnlichen Landstrichen. In der 88.Sure, „Die Verhüllende“, in den Versen 17-22, wird dem Propheten neben Himmel und Erde das Kamel genannt als Erinnerung an die Allmacht Gottes, und an seine eigene Aufgabe als Mahner der Menschen aufgrund dieser Zeichen:
* Und haben sie nicht das Kamel angeschaut, * Und wie der Himmel ist gebaut, * Und wie gewölbt des Berges Haupt, * Und die Erde geschmückt mit Gras und Kraut? * So mahne, du bist nur ein Mahner, * bist über sie kein Gewalthaber.
Darüberhinaus hat das Kamel des Propheten Mohammed Pate gestanden bei der Entstehung des Begriffs »Moschee« (europäische Verballhornung des arabischen Worts »Mas-djid«). Die Wurzelkonsonanten s-dj-d, aus denen das Wort gebildet wird, bezeichneten nämlich ursprünglich das Niederkauern eines Kamels. Erst im Islam hat das Wort dann die Bedeutung von »sich niederwerfen zum Gebet« angenommen. Und das kam so: Als der Prophet Mekka unter Lebensgefahr verlassen mußte, fügte es sich, daß er von den Bewohnern der Stadt Yathrib zu Hilfe gerufen wurde, welche seitdem als »Medinat en-Nabi«, Stadt des Propheten, oder schlicht als »al Medina« (die Stadt) bekannt ist. Die Stämme Yathribs lagen, aufgrund der damals noch herrschenden Blutrache, untereinander in todbringendem Streit, und der Prophet, der weithin unter dem Beinamen »der Ehrliche« (el-Amîn) großes Vertrauen genoß, sollte als Vermittler die Streitigkeiten zu einem friedlichen Ende führen. Um bei der Errichtung seines Wohnhauses, an welches das Gebäude des gemeinsamen Freitagsgebetes angrenzen sollte, keinen der verfeindeten Stämme zu bevorzugen oder zu benachteiligen, schickte der Prophet sein Kamel aus, um den Wohn- und Gebetsort zu bestimmen. Dort, wo das Kamel sich niederkauerte (sadjada), wurde demzufolge das erste »Mas-dijd«, die erste »Moschee« errichtet, und zwar auf einem Platz, der zwei Waisenkindern gehörte. Diese standen von da an unter dem besonderen Schutz des Propheten.
Ein anderes Tier, das im Leben des Propheten dem Volksglauben nach eine besondere Rolle gespielt haben soll, ist die Spinne. Im Koran wird sie nur erwähnt, um mit dem Spinnennetz ein Beispiel zu geben für die Vergänglichkeit der irdischen Güter, in Vers 41 der Sure 29, welcher der Sure den Namen gegeben hat:
* Das Gleichnis derer, die sich neben Gott einen Helfer suchen, ist wie das der Spinne, die sich ein Haus baute; und siehe, das gebrechlichste der Häuser ist das der Spinne; o dass sie dies doch wüssten!
Solche Ausdrücke wie „sich neben Gott einen Helfer suchen“ oder „Gott etwas beigesellen“ oder ähnliche Wendungen, die vor der Vielgötterei oder dem Götzendienst warnen, finden sich recht häufig im Koran. Die sogenannte „Beigesellung“ oder Vielgötterei, d.h. der Götzendienst, arabisch „Schirk“, ist in der Tat die größte Sünde, die man im Islam in Glaubenssachen begehen kann. Wir kennen das Gleiche aus dem Ersten Gebot in der Bibel: „Ich bin der Herr, Dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Uns Heutigen mag das etwas überholt vorkommen. Wer betreibt denn schon bei uns noch Götzendienst? Nun musste zwar der Prophet Mohammed in seiner Vaterstadt Mekka in der Tat den Vielgötterglauben seiner Landsleute bekämpfen, wollte er sie zum Islam, d.h. zum Dienst an dem einen und wahren Gott bekehren. Aber er stieß vor allem deswegen auf deren erbitterten Widerstand, weil der althergebrachte Kult der Götzen für die Angehörigen der Oberschicht von Mekka ein einträgliches Geschäft darstellte, da er Scharen von Pilgern von der gesamten arabischen Halbinsel in die Stadt zog. Dieses Geschäft sahen sie durch die Lehre von dem einen und einzigen Gott bedroht. Der Kampf für den Glauben an die Einzigkeit Gottes war für den Propheten in der Tat gleichbedeutend mit dem Kampf gegen die Vorstellung, man könne sich durch die Anhäufung von Reichtümern eine absolute Gewähr verschaffen gegen die Unsicherheiten des Lebens, es war also sozusagen ein Kampf gegen den Dienst am Götzen Mammon. Das Gleichnis von der Hinfälligkeit des Hauses der Spinne ist nur ein Hinweis unter vielen dieser Art im Koran. Nun soll es auch heute noch Menschen geben, ob sie sich nun Muslime nennen oder auch Christen oder sonstwie, welche den Besitz materieller Güter höher stellen als alles andere im Leben, also in diesem Sinne Gott etwas beigesellen bzw. Götzendienst treiben. Insofern sind die Mahnungen des Koran noch heute so aktuell wie je.
Jedenfalls versteht man, dass der Prophet Mohammed sich mit solchen Mahnungen unter den Reichen der Stadt Mekka nicht beliebt gemacht hatte, sodass sie zunächst seine Jünger, dann aber ihn selbst verfolgten. (Die Flucht oder Auswanderung des Propheten aus seiner Heimatstadt Mekka, die sogenannte Hidjra, wird von den den Muslimen als ein solch einschneidendes Ereignis in der Frühgeschichte des Islam angesehen, dass sie bekanntlich damit den Beginn ihrer Zeitrechnung ansetzen.) Als die Feinde des Propheten von seiner Flucht erfahren hatten, setzten sie ihm nach. Auf diesem Wege kamen sie auch zu einer Höhle, in welcher der Prophet und seine Gefährten sich verborgen hielten. Aber eine Spinne hatte inzwischen vor dem Eingang der Höhle ihr Netz gesponnen, und als die Verfolger sahen, dass dieses noch unversehrt war, hielten sie die Höhle für leer und suchten nicht weiter. So hatte die Spinne dem Propheten und seinen Gefährten das Leben gerettet.
Wenn diese Legende auch im Koran nicht erwähnt wird, so gibt es darin doch andere Geschichten von Tieren, die im Leben des Propheten Mohammed oder früherer Propheten eine Rolle gespielt haben. Sechs der hundertvierzehn Suren des Koran tragen die Namen von Tieren in ihren Titeln: Sure 2 „Die Kuh“, Sure 6 „Das Vieh“, Sure 16 „Die Bienen“, Sure 27 „Die Ameise“, Sure 29 „Die Spinne“, Sure 105 „Der Elefant“. Es sind dann allerdings meist nur einzelne Verse, die der Sure den Titel geben. Deshalb darf man nicht dem Missverständnis verfallen, als bildeten die Titel eine Art Inhaltsangabe der Suren, wie wir das sonst bei Kapitelüberschriften gewohnt sind. Einem solchen Missverständnis ist einst ein frommer Hindu verfallen, der bei einem religiösen Disput am Hofe des indischen Mogulkaisers Akbar im Jahre 1578 freudig darauf hinwies, Gott müsse doch einen besonderen Gefallen an der Kuh haben, da die längste Sure des Koran, die zweite, mit dem Titel „Die Kuh“, diesem den Hindus heiligen Tier gewidmet sei. Offenbar kannte er aber den Inhalt der Sure nicht so recht, denn in den Versen 67-71, die der Sure den Titel geliefert haben, ist die Rede vom Opfer, also Schlachtung einer gelben Kuh durch Moses, für einen frommen Hindu eine schreckliche Vorstellung. Die muslimischen Höflinge des Kaisers fühlten sich durch dieses Missverständnis denn auch höchlichst erheitert.
Die hundertfünfte Sure, „Der Elefant“, eine der kürzesten des Koran, berichtet von der wunderbaren Rettung Mekkas im Jahr der Geburt des Propheten:
* Sahst du nicht, wie dein Herr verfuhr mit den Gefährten des Elefanten? * Machte er nicht ihre List zuschanden * Da er über sie ein Heer von Vögeln sandte, * Die sie mit Steinen bewarfen, aus Ton gebrannten? * So machte er sie gleich abgefressenen Saaten.
Nur wenn man den Hintergrund dieser Sure kennt, versteht man sie: Im Geburtsjahr des Propheten hatte der abessinische Gouverneur des Yemen, Abraha, der einen Feldzug gegen Mekka plante, sich einen enorm großen Elefanten kommen lassen. Der Elefant aber weigerte sich, nach Mekka einzudringen, und Scharen von Vögeln bewarfen Abrahas Armee mit gebrannten Steinen, und kein Söldner wurde verschont.
Die schönsten Tierlegenden finden sich jedoch in der siebenundzwanzigsten Sure des Koran mit dem Titel „Die Ameisen“. Der Prophet Mohammed war von seinen Landsleuten verdächtigt worden, kein Prophet, sondern nur ein Dichter zu sein. Gegen diesen Verdacht musste er sich wehren, und so enthält die vorausgehende, sechsundzwanzigste Sure mit dem Titel „Die Dichter“ warnende Beispiele von Völkern, die ihren Propheten nicht glauben wollten, unter dem Vorwand, sie seien nichts als Dichter, und die Gott dann mit dem Untergang bestraft hat. Aber die im Orient über den König Salomo (auf arabisch Suleimân) umlaufenden wunderbaren Legenden waren offenbar so mächtig, dass sie trotz ihrer Märchenhaftigkeit auch in den Koran Eingang gefunden haben. Hören Sie zunächst die Verse 16-19:
* Und Salomo beerbte David, und sprach: O all ihr Menschen! Ich ward gelehrt der Vögel Sprache, und alles hab‘ ich überkommen; ja, das ist Gottes offenbare Gnade. * Da ward geschart zu Salomo sein Heer vom Stamm der Dschinnen (Geister), der Menschen und der Vögel, aufziehend in geschiednem Trupp. * Bis, da sie nun gekommen waren zum Tale der Ameisen, eine Ameise sprach: O all ihr Ameisen, geht hinein in eure Wohnungen, damit euch nicht zertrete Salomo und sein Heer, ohne es zu merken! * Da lächelte er über ihre Rede und sprach: O Herr, gib Antrieb mir zu danken für Deine Gnade, mit der Du mich und meine Eltern begabt hast, zu tun das Gute, das Du liebst, und bringe mich in deiner Barmherzigkeit zu deinen frommen Knechten.
Also die Ameise ist nicht zu klein, um einen Mächtigen wie König Salomo an den Dank zu erinnern, den er Gott schuldet. So ist es auch mit der Mücke. In Vers 26 der 2. Sure „Die Kuh“ (in der Übersetzung J. v. Hammers in den Fundgruben des Orients, der orientalistischen Zeitschrift, auf die Goethe abonniert war) heißt es:
* Es scheut sich nicht der Herr ein Gleichnis euch zu geben, von einer Mücke oder von dem was darüber ist. Die da glauben wissen, daß es Wahrheit von ihrem Herrn ist; die es aber nicht glauben sagen: Was will der Herr mit diesem Gleichnis.
An dieser Stelle muss ich endlich unbedingt auf Goethe zu sprechen kommen, denjenigen deutschen Dichter, der sich wie kein anderer schon von früher Jugend an nicht nur von der Bibel, sondern eben auch vom Koran hat inspirien lassen. Das Gleichnis von der Mücke, das heißt die Mahnung, ”Gottes Größe im Kleinen“ zu erkennen, die er aus der Übersetzung Hammers kannte, setzte er in den Nachlaßgedichten zum West-östlichen Divan in folgendem Vierzeiler um:
Sollt ich nicht ein Gleichnis brauchen,
Wie es mir beliebt?
Da uns Gott des Lebens Gleichnis
In der Mücke gibt.
Es sei daran erinnert, daß schon der junge Goethe seinen Werther ”die Gegenwart des Allmächtigen“ selbst in den ”Mückchen“ gewahr werden lässt, weil für ihn in allem Leben ”Gottes Gegenwart“ spürbar ist bis hinab zu so unscheinbaren Phänomenen wie den Grashalmen. – In der pantheistischen Entzückung des Briefs vom 10. Mai lautet das so:
Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen, ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, […] wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen näher an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Allliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält, mein Freund! Wenns dann um meine Augen dämmert und die Welt um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhn wie die Gestalt einer Geliebten – dann sehne ich mich oft und denke: ach könntest du das wieder ausdrücken; […] daß es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes!
In Anlehnung an diese Gedanken greift der alte Goethe in seinem Divan den Anfang seines oben angeführten Vierzeilers wieder auf, preist aber statt der Mücke im dritten und vierten Vers die Augen der Geliebten, weil auch in ihnen sich Gott ”im Gleichnis gibt“:
Sollt‘ ich nicht ein Gleichnis brauchen
Wie es mir beliebt?
Da mir Gott in Liebchens Augen
Sich im Gleichnis gibt.
Bekanntlich hatte sich zwischen dem annähernd siebzigjährigen Goethe zu der Zeit, als er die Gedichte des Divan verfasste, und der jungen Schauspielerin Marianne von Willemer eine denkwürdige Liebesbeziehung entsponnen. Es war eine Liebe, die unerfüllt bleiben musste, da Marianne von Willemer verheiratet war und Goethe das Institut der Ehe heilig hielt. Nur in Form der Poesie und in der Symbolsprache der Heiligen Schriften konnten die beiden ihre Beziehung unterhalten. Eines dieser Symbole war Hudhud. Aber wissen Sie, wer Hudhud war? Während Goethes Gedichtsammlung des Divan ausgedruckt wurde, im Juli 1819, und Marianne in Baden-Baden weilte, schrieb ihr der Dichter: „Wäre ich Hudhud, ich liefe Dir nicht über den Weg, sondern schnurstracks auf Dich zu. Nicht als Boten, um meiner selbst willen müsstest Du mich freundlich aufnehmen.“ Und im Dezember schickte er ihr jene drei Hudhud-Gedichte, die später in den Divan eingegliedert wurden. Wer also war Hudhud? Warum nennt Goethe ihn den Boten? Hudhud ist das arabische Wort für den Wiedehopf. Die Erklärung zum Goetheschen Brief und zu seinen Hudhud-Gedichten findet sich nirgend anders als im Koran, und zwar in der bereits erwähnten Sure 27 mit dem Titel „Die Ameisen“, im Bericht über König Salomo und die Königin Belqis von Saba, in den Versen 20 ff, wo es von Salomo heißt:
* Und er musterte die Vögel und sprach: „Was sehe ich nicht den Wiedehopf? Ist er etwa abwesend? * Wahrlich, ich strafe ihn mit strenger Strafe oder schlachte ihn, es sei denn, er bringe mir eine offenkundige Entschuldigung.“ * Doch er säumte nicht lange und sprach: „Ich gewahrte, was du nicht gewahrtest, und ich bringe dir von Saba gewisse Kunde. * Siehe, ich fand eine Frau über sie herrschend, der von allen Dingen gegeben ward, und sie hat einen herrlichen Thron. * Und ich fand sie und ihr Volk sich vor der Sonne niederwerfen statt vor Gott, und ausgeschmückt hat der Satan ihre Werke und abseits geführt vom Weg, und sie sind nicht rechtgeleitet. * Wollen sie sich nicht vor Gott niederwerfen, der zum Vorschein bringt das Verborgene in den Himmeln und auf der Erde, und der weiß, was ihr verbergt, und was ihr offenkundig tut? Gott * es gibt keinen Gott außer Ihm, dem Herrn des herrlichen Thrones. * Er [Salomon] sprach: „Wir wollen sehen, ob du die Wahrheit sprachst oder einer von den Lügnern bist. * Geh mit diesem meinen Brief und wirf ihn vor sie. Dann wende dich ab von ihnen und sieh zu, was sie erwidern.“ * Sie sprach: „O ihr Häupter, siehe, zu mir ward ein edler Brief geworfen. * Siehe, er ist von Salomo, und siehe, er ist im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen: * Erhebet euch nicht wider mich, sondern kommt als Muslime zu mir.“
Hier endet die Geschichte vom Wiedehopf als postillon d’amour, als Liebesbote zwischen Salomo und Belqis, der Königin von Saba. Aber die Geschichte selbst ist hier natürlich noch nicht zu Ende. Sie erscheint uns wie eine Erzählung aus 1001 Nacht in nuce. Die Königin von Saba war nicht nur schön, sondern sehr reich. Sie schickte ein prächtiges Geschenk an Salomo. Er aber antwortete: „Was mir Gott gegeben hat, ist besser, als was Er euch gab.“ Denn Salomo verstand nicht nur die Sprache der Tiere, er herrschte auch über die Geister. Um also die Königin von Saba von der Allmacht des einzigen Gottes zu überzeugen, schickte er einen seiner Geister aus, um sich ihren Thron bringen zu lassen, und als sie bei Salomo zu einem Besuch eintraf, musste sie ihn als den ihren erkennen. Daraufhin heißt es (in Vers 44ff) * Gesprochen ward zu ihr: „Tritt ein in die Burg.“ Und da sie solche sah, hielt sie diese für einen See und entblößte ihre Schenkel. Er sprach: „Siehe, es ist eine Burg, getäfelt mit Glas.“ Sie sprach: „Mein Herr, siehe, ich sündigte wider mich selber, und ergebe mich mit Salomo Gott, dem Herrn der Welten.“ Für die Äthiopier, als ihr Land noch als Kaiserreich Abessinien bekannt war, hatte diese Geschichte eine eigene Fortsetzung. Denn ihrer nationalen Legende zufolge soll aus der Vereinigung von Salomo und Belqis ein Spross hervorgegangen sein, der zum Begründer des abessinsichen Kaiserhauses wurde.
Wer die biblischen Geschichten kennt, hat natürlich die Geschichte von König Salomo und der Königin des sagenhaft reichen Lands von Saba, das übrigens im Yemen lag und nicht, wie die äthiopischen Christen glauben, in Ostafrika, auch schon gehört oder gelesen, nur eben nicht so reich ausgeschmückt an wunderbaren Details wie im Koran. Aber die Geschichten der Bibel waren im Orient eben Gemeingut der Völker, weshalb die strikte Trennungslinie zwischen christlichem Abendland und islamischem Orient, die man heute ziehen will, barer Unsinn ist. Schon Goethe war sich dessen bewusst, dass auch das Christentum orientalischen Ursprungs ist. Wussten Sie zum Beispiel, dass die Legende zum 27. Juni, dem Siebenschläfer-Tag, nicht in der Bibel, dem Neuen Testament, vorkommt, jedoch im Koran? In der christlichen Welt wurde sie verbreitet in einer Sammlung von Heiligenlegenden, der „Legenda Aurea“ des Jacobus de Voragine. Sieben christliche Jünglinge, Maximinianus, Malchus, Dionysius, Johannes, Serapion und Konstantinus von Ephesus (in der arabischen Tradition nach Wahb b. Munabbih hießen sie Yamlîcha, Yamlîsa, Mostalacha, Adranusch, Amidanusch, Sadranusch), die sich geweigert hatten, den alten Göttern zu opfern, flohen vor den Verfolgungen des Kaisers Decius (Regierungszeit 249-251) auf den Berg Celion (heute mit dem türkischen Namen Panayir Dagh), und verbargen sich in einer Höhle. Das Versteck wurde dem Kaiser verraten, und wütend über ihre Flucht ließ er den Eingang der Höhle zumauern. Nach zwei Jahrhunderten, im Jahr 448, wurde die Mauer von einem Hirten entdeckt und eingerissen, wovon die Siebenschläfer erwachten. Nichtsahnend schickten diese erneut ihren Gefährten Malchus nach Ephesus, wo der jedoch die gesamte Umgebung verändert vorfand. Da er mit alten Goldmünzen aus der Zeit des Kaisers Decius seine Einkäufe zahlen wollte, wurde er als Falschmünzer verhaftet. Weder ihn selbst noch seine Verwandten kannte man mehr, kaum noch den auf der Münze abgebildeten Kaiser Decius.
Malchus begab sich mit einem Priester zur Höhle, bei der seine Freunde auf ihn warteten. Hier fand sich neben den Erwachten noch ein Schriftstück, mit zwei silbernen Siegeln versiegelt, das die Maurer dereinst dort niedergelegt hatten und welches die Wahrheit über die Siebenschläfer bewies.
Das Wunder teilte man dem Kaiser Theodosius (Regierungszeit 408-450) mit, der darauf hin von Konstantinopel nach Ephesus reiste. Als er bei den Siebenschläfern angekommen war, so sollen deren Gesichter wie die Sonne gestrahlt haben. Einer von ihnen, Maximianus, sagte dem Kaiser:
„Wie das Kind im Leib der Mutter liegt, keinen Schaden empfindet und lebt, so waren auch wir am Leben; wir lagen da, schliefen und spürten nichts.“
Die 18. Sure, „Al – Kahf“ („Die Höhle“) erzählt die Legende so: * Glaubst du wohl, daß die Bewohner der Höhle und ar-Raqîm unter unseren Wunderzeichen etwas besonderes waren? * Da die Jünglinge in der Höhle Zuflucht suchten, sprachen sie: „O unser Herr, gewähre uns Barmherzigkeit von dir und lenke unsere Sache zum besten.“ Und Wir versiegelten ihre Ohren in der Höhle für viele Jahre […] Und du hättest sie für wach gehalten, wiewohl sie schliefen; und Wir kehrten sie nach rechts und links. Und ihr Hund lag mit ausgestreckten Füßen auf der Schwelle. Wärest du auf sie gestoßen, du würdest dich vor ihnen zur Flucht gewendet haben und wärest mit Grauen vor ihnen erfüllt. Und so erweckten Wir sie…. Und sie verweilten in ihrer Höhle dreihundert Jahre und noch neun dazu“ (18, 9 – 24).
Von daher sind beide oben angesprochenen, mit der Legende verbundenen Orte sowohl christliche als auch muslimische Pilgerstätten. Aber warum habe ich diese Geschichte so ausführlich erzählt? Natürlich wegen des Hundes, der darin vorkommt und in der islamischen Tradition den Namen Qitmir trägt. Im letzten Buch seines West-östlichen Divan, dem Buch des Paradieses, hat Goethe das vorletzte und letzte Gedicht den Siebenschläfern und dem sie treu bewachenden Hündlein gewidmet.
Im Koran ist keine Auskunft darüber zu finden, ob auch den Tieren ein Platz im Paradies zukommt, aber Goethe wusste bereits aus einem der Lieblingsbücher seiner Kinderzeit, aus „Dappers Reisen“, dass es unter den muslimischen Schriftgelehrten eingehende Diskussionen über die Frage gegeben hat, ob die Tiere auch ins Paradies aufgenommen werden, und wenn ja, in welches, in ein für die Tiere gesondertes oder in das für die Menschen bestimmte? In den beiden vorerwähnten zauberhaften Gedichten macht Goethe klar, dass er mit den Siebenschläfern auch das Hündlein Qitmir ins Paradies eingehen sah, ja in einem anderen Gedicht wird er von einer Huri belehrt:
Die Tiere, weißt du, sind nicht ausgeschlossen,
Die sich gehorsam, die sich treu erzeigt!
Allerdings gab es unter den muslimischen Gelehrten, wie Goethe aus dem Buch „Dappers Reisen“ erfuhr, nur in Bezug auf zehn besondere Tiere keinen Streit, dass ihnen ein Platz im Paradiese sicher sei. Dies waren: 1)die Kamelin des Saleh, 2) das Kalb Abrahams, 3) der Widder Ismaels, 4) die Kuh des Moses, 5) der Walfisch des Propheten Jonas, 6) der Esel des Propheten Jeremias, 7) die Ameise des Salomon, 8) der Wiedehopf der Königin Belqîs von Saba, 9) das Kamel des Propheten Mohammed, 10) der Hund der Siebenschläfer von Ephesus.
In seinem Buch des Paradieses des Divan führt Goethe allerdings nur vier Tiere an, deren Platz im Paradies er neben den „Berechtigten Männern“ und den „Auserwählten Frauen“ als gesichert ansieht, und von denen nur eines in der vorerwähnten Liste genannt ist, das Siebenschläferhündlein. Statt des Esels des Propheten Jeremias nimmt Goethe hier den Esel Jesu auf. Denn schließlich entstammte Goethe einem christlichen Hause, wenn er auch nicht die offizielle christliche Doktrin teilte, dass Christus der Sohn Gottes gewesen sei. Für ihn wie für die Muslime war Jesus ein Prophet. Die Aufnahme der Katze hat er aus der islamischen Überlieferung wohlbegründet. Der Name des Prophetengefährten, Abuherrira, bedeutet im Arabischen Kätzchenvater. Aber die Legende mit dem Wolf in der dritten Strophe? Die hat Goethe eigens hinzuerfunden. So hat er sich, da er unter seinen Freunden unter dem Spitznamen „Wolf“ bekannt war, in der Gestalt dieses Tiers höchst selbst in das Paradies eingeschlichen. Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen gelingen möge, Goethes Beispiel folgend, auf die eine oder andere Art sich ebenfalls einen Platz im Paradies zu sichern.
Das Gedicht lautet:
Begünstigte Tiere
Vier Tieren auch verheißen war,
Ins Paradies zu kommen,
Dort leben sie das ew’ge Jahr
Mit Heiligen und Frommen.
Den Vortritt hier ein Esel hat,
Er kommt mit muntern Schritten:
Denn Jesus zur Prophetenstadt
Auf ihm ist eingeritten.
Halb schüchtern kommt ein Wolf sodann,
Dem Mahomet befohlen:
»Laß dieses Schaf dem armen Mann,
Dem Reichen magst du’s holen!«
Nun, immer wedelnd, munter, brav,
Mit seinem Herrn, dem braven,
Das Hündlein, das den Siebenschlaf
So treulich mitgeschlafen.
Abuherriras Katze hier
Knurrt um den Herrn und schmeichelt:
Denn immer ist’s ein heilig Tier,
Das der Prophet gestreichelt.