„Karikaturenstreit“ verschiedene Werte, Integration von Muslimen im „christlichen Abendland“?

Dr. Hamid Fadlalla 


Vortrag am 29.3.2006 im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie Land Brandenburg/Konferenz der kommunalen Ausländerbeauftragten

Es hat lange gedauert, bis die Deutschen akzeptiert haben, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. In den 80er Jahren wurde das Konzept oder der Bergriff der multikulturellen Gesellschaft zu- erst diskutiert, heftig kritisiert und dann über die Grundlagen und Ansatzpunkte gestritten. Mit der Begründung, dass Deutschland kein klassisches Einwanderungsland wie z.B. die USA, Kanada oder Australien ist, wurde die Diskussion schließlich beigelegt.

Bald folgten neue Konzepte oder Begriffe hinzu wie Parallelgesellschaften, komplette Segregation,(ökonomische, politische und soziale), Subkultur, ethnische Kolonie, Alternativökonomie, Zwangsheiraten, arrangierte Ehen „Ehrenmorde“ bis zur jüngsten Debatte über die Mohammed-Karikaturen.

Alle diese Begriffe und Konzepte haben – ob sozial oder kulturell bedingt – mit dem Problem der Integration oder Fremdsein zu tun.

2. Verschiedene Werte, Integration von Muslimen im „christlichen Abendland“?

Die Attentate von London und die Ermordung des niederländischen Filmemacher Theo van Gogh – verübt von jungen Menschen, die im Westen geboren oder aufgewachsen sind – werfen die Frage auf, ob Fehler in der Integrationspolitik gemacht wurden. 

Die Probleme der Integration der Einwanderer sind vielfältig, angefangen von der schulischer Bildung, Berufsabschluss, Weiterbildung Arbeitslosigkeit und Arbeitsverbot.

Nur 14% der ausländischen Schüler schaffen es an das Gymnasium, 41 % von ihnen zwischen 20 und 29 Jahren haben keinen Berufsabschluss, besonders hart betroffen sind die zweite und dritte Generation. Es muss viel getan werden für die Bildungschancen sowie berufliche Bildung ,damit sie später bessere Chancen haben einen Beruf oder Arbeit zu finden. Viele Kinder von Einwanderern haben wegen mangelnder Sprachkenntnisse Schwierigkeiten in der Schule. Eine vorschulische Sprachförderung verbessert die schulische Leistung dieser Kinder.

4% der in Deutschland lebenden Bevölkerung sind Muslime und haben nach dem deutschen Grundgesetz das Recht auf freie Religionsausübung und das verläuft im allgemeinen reibungslos.

Es wurde in einigen Untersuchungen festgestellt, dass es eine Zunahme der Religiosität und Moschebesuche der Muslime gibt.
Eine Zunahme der Religiosität beobachtet man auch bei anderen Religionen. „Die Wiederkehr der Götter“, ein Buchtitel von Friedrich Wilhelm Graf.

In vielen Moscheen, die von Arabern besucht werden, wird außer Religion auch, arabisch und Computer (EDV) in Form von Privatkursen unterricht. Der Religionsunterricht ist sehr traditionell, stures Auswendig lernen wie in Saudi-Arabien. Saudi-Arabien ist der größte Finanzgeber dieser Moscheen.

Viele Eltern sind nicht zufrieden mit dem Unterricht, da die Lehrer keine ausgebildeten Pädagogen sind, aber in Ermangelung staatlicher Einrichtungen gibt es keine Alternativen dazu.
In Berlin gibt es ca. 50 moslemische Gemeinden, in denen es die Möglichkeiten gibt ihre Kultur und Traditionen zu pflegen. 
 

Pluralismus, individuelle Menschenrechte, Säkularisation der Politik und Gesellschaft, Gewissens- und  Meinungsfreiheit sind Kulturphänomene und wichtige Grundlagen der zivilisatorischen Identität des Westens. Sie sind die Resultate der Aufklärung, die auch manchmal durch militanten Verlauf erreicht wurden, diese Werte sind für mich universalistisch, weil sie universelle humanistische Werte verkörpern, die alle Kulturen anstreben und weil sie der Würde des Menschen dienen, unabhängig davon ob diese Werte westlichen Ursprungs sind. In den arabischen und Gemeinden und Kulturvereinen diskutieren Muslime über diese Grundwerte und Begriffe in bezug auf ihre  Universalität. Im Allgemeinen akzeptiert werden diese Werte akzeptiert, aber ihre Akzeptanz wird erschwert durch die Doppelmoral des Westens in seinem Verhalten gegenüber anderen bezüglich Demokratie und Menschenrechte.

Wo war die Demokratie, als die Amerikaner und Briten 1953 den ersten legitimierten iranischen Regierungschef Mohammed Mossadeg gestürzt und den diktatorischen Schah Pahlewi wieder an die Macht gesetzt haben?

Wo war sie als die Amerikaner 1973 den gewählten Präsidenten Allende in Chile gestürzt und den Diktator Pinochet an seine Stelle gesetzt haben?

Kaum hat die Regierung von Hamas, die durch freie Wahlen (ein Novum im arabischen Nahen Osten) zur Macht gekommen ist, ihre Arbeit aufgenommen, wird der Versuch unternommen die Isolierung voranzutreiben.

Und hier nur zur Erinnerung:
Wo sind die Menschenrechte geblieben in Guantanamo- und in Abu Gharib wo Häftlinge ohne Gerichtsverfahren Interniert und misshandelt werden. 

Die Mehrheit der moslemischen Bürger in Deutschland achten die deutschen Gesetze und viele wünschen sich eine Integration in diese pluralistische Gesellschaft, die sie auch aktiv mitgestalten wollen. Man kann aber nicht leugnen, dass es eine radikal islamistische Gruppe gibt, die westliche Werte strikt ablehnt und die mit Terror und Krieg gegen die westliche Welt und ihre Werte kämpft.

Multikulturalismus bedeutet Toleranz der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der Kulturen der Minderheiten.

Udo Di Fabio Richter am Bundesverfassungsgericht schreibt in seinem Buch „Die Kultur der Freiheit“ ich zitiere:
„Eine offene Kultur der Freiheit wird aber auch nur dann bestehen, wenn sie ihre Arroganz ablegt und stattdessen mehr Selbstbewusstsein gewinnt. Die politische Leitkultur der larmoyant duldenden Multikulturalität ist in Wirklichkeit Herablassung, ein Nicht-Ernst-Nehmen. Im Inneren der offenen Verfassungsstaaten werden wir lernen müssen, mit verschiedenen Kulturen und ihren Herausforderungen umzugehen, und zwar ohne alles gut zu finden, was anders ist. Wir werden lernen müssen, eine Toleranz zu üben, die gerade mit der begründeten Setzung von Grenzen und dem Festalten an einigen Institutionen den anderen und sich selbst ernst nimmt. Wer sich selbst achtet, sieht auch im Anderssein des andern sein eigenes Gesicht.“

Laut einer durch die Arbeit von Jürgen Leibold, Steffen Kühnel und Wilhelm Heitmeyer über mehrere Jahre durchgeführten Umfrage waren 36,6% der Befragten im Jahre 2003, 44,0% im Jahre 2004 und 49,7% im Jahre 2005 der Meinung, das der Islam keine bewunderwerte Kultur hervorgebracht hat.

Die Frage ob die muslimische Kultur durchaus in unsere westliche Welt passt, haben 
65,9% der Befragten im Jahre 2002, 69,6% im Jahre 2004 und 74,2% im Jahre 2005 mit Nein beantwortet.

Der Terrorismus, die letzten Ereignisse und die Bücher, die von einigen islamischen Autoren ohne fundiertes Wissen verfasst wurden, geben nicht nur ein falsches Bild vom Islam ab, sondern erzeugen Angst vor den Muslimen. 

Die islamische – arabische Zivilisation war in ihrer Blütezeit eine philosophisch geprägte Streitkultur mit einer durchaus positiven Ausstrahlung auf andere Länder.

Durch Kolonialismus, den verlorenen Sechs-Tage – Krieg (1967) und die despotischen Regime kam es zur Unterbrechung der Aufklärung in den arabischen – islamischen Ländern, die bereits im 19.Jahrhundert begonnen hatte, auch mit Reform der Religion.

Trotz Unterdrückung und Verbot finden zwischen Intellektuellen und moderaten Islamisten sachliche Debatten und Auseinandersetzungen über Säkularismus, Moderne, Demokratie Menschenrechte, Frauenrechte, Zivilgesellschaft und neue Auslegung des Koran statt.
 

Die Reformkräfte in der Region sollen mit Hilfe des Westens bei der Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation, der Armut und Menschenrechtsverletzungen unterstützt werden, denn dies und die Unterdrückung der Demokratie durch totalitäre Regime sind die wahren Ursachen des Terrorismus. Der Terror gefährdet nicht nur den Westen, sondern auch die arabisch-islamischen Länder selbst und muss deshalb überall entschieden bekämpft werden. 

Damit würde der Westen helfen allgemeingültige universelle Werte in diesen Ländern geltend zu machen ohne dabei die Besonderheiten der Lebenswelten anderer Kulturgemeinschaften zu negieren. 
 

Ich möchte mit drei Zitaten schließen, die den Kern meines Vortrags zusammenfassen und unsere Veranstaltung abrunden. Sie beziehen sich auf Integration, Gleichheit und Gerechtigkeit – ohne Kommentar, vielleicht als Anregung zur weiteren Diskussion. 
 

Ein Zitat von einem Wissenschaftler, das zweite von einem Schriftsteller und das letzte von einem Dichter.

Das erste Zitat stammt von meinem Vorredner :Dr. Heiner Bielefeldt hat vor ungefähr sechs Jahren einen wichtigen Aufsatz  mit der Überschrift „Muslime im säkularen Rechtsstaat“ geschrieben.

Ich zitiere:
„Es ist an der Zeit, ein Zeichen zu setzten. Bei allen unleugbaren Schwierigkeiten und trotz vieler ungeklärter Fragen gibt es prinzipiell keine Alternative dazu, Muslimen die Chance zur Mitgestaltung an dieser Gesellschaft zu geben, und zwar noch nach Maßgabe gleicher Freiheit. Wer darin eine Gefahr für die säkulare Rechtsordnung sieht, hat nicht verstanden, worin der Sinn der rechtsstaatlichen Säkularität besteht.“ 

Das zweite Zitat stammt von dem sudanesischen Schriftsteller Tayeb Salih aus seinem wunderbaren Roman „Zeit der Nordwanderung“. Der Held des Romans Mustafa Said studierte in England und dieser ist mit vierundzwanzig Jahren bereits Dozent für Wirtschaftswissenschaften. Er kam nicht zurecht in der Fremde. Er zieht sich in ein kleines Dorf am Nil zurück, auch dort kam er nicht zurecht. Der Roman zeigt ein Aufeinanderprallen zweier Kulturen, Orient und Okzident, von Tradition und Moderne, Heimat und Entfremdung.

Der Romanheld, Mustafa Said sagte, ich zitiere

„…Doch solange die Unterdrückten nicht den Boden erben, die Armeen nicht aufgelöst werden, das Lamm nicht friedlich neben dem Wolf grast, der Knabe nicht Wasserball mit dem Krokodil im Fluss spielt – solange wird diese Zeit des Glücks und der Liebe nicht anbrechen.“ 

Das letzte Zitat ein kurzes Gedicht von Heinrich Heine:

„Hat man viel, so wird man bald
noch viel mehr dazu bekommen.
Wer nur wenig hat, dem wird
auch das Wenige genommen.
Wenn du aber gar nichts hast,
Ach, so lasse dich begraben,
denn ein Recht zum Leben, Lump,
haben nur, die etwas haben.“

Sie kennen alle das Kinderspiel „Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann“?, wird es bald ein zweites Spiel geben? „Wer hat Angst vor dem muslimischen Mann“?

Dann wird es eng für mich weil ich nämlich schwarz und Muslim bin.

Aber Spaß beiseite, ich bin voll integriert in die deutsche Gesellschaft und es gibt ja Gott sei Dank noch vernünftige Menschen überall, die sich der umtreibenden Panik und Angst widersetzen .

Punkte für die Diskussion

  •  Einbürgerungstest
  •  Das Wahlrecht
  •  Zwangsheirat / arrangierte Ehen
  •  Schule (Modell Niedersachsen)
  •  Lehrstuhl für islamische Theologie / Muslimische Akademie Berlin
  •  Bücher über Integration und über den Islam

Als Beispiele:
 Necla Kelek,  „Die fremde Braut“
 Ayaan Hirsi Ali, „Ich klage an“

Dr. Hamid Fadlalla, ist Arzt und Geschäftsführer der Organisation für Menschenrechte in 
den arabischen Staaten (OMRAS/D)

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