Bemerkungen zum Arbeitspapier der Diplomaten

Dr. Hamid Fadlalla

Zur schriftlichen Initiative der Diplomaten Dr. Jürgen Hellner, Heinz Knobbe, Peter Mende, Freimut Seidel, Dr. Arne C. Seifert und Dr. Heinz-Dieter Winter (a.D.) mit dem Titel „ Grundlinien für eine Neugestaltung des Verhältnisses Europas zu den islamischen Nachbarregionen“, möchte ich einige kurzgefasste Bemerkungen machen: 

  • Die Idee, die Krise zwischen der islamischen Welt und dem Westen mit der Annahme einer grundlegenden veränderten Haltung Europas zur islamischen Welt  zu überwinden und einen Ausweg aus dem Terrorismusdilemma zu finden, ist ein schöner Gedanke, auch wenn es eines längeren Prozesses bedarf. Aber wir alle brauchen einen Traum. Die Initiative ist daher sehr lobenswert.
  • Das Arbeitspapier setzt voraus, dass die EU mit einer Stimme spricht, was aber nicht der Fall ist, denn oft genug fallen nationalstaatliche Überlegungen und feste ökonomische Interessen mit bilateralen Abkommen zwischen einzelnen EU- Staaten und Ländern der Regionen dem gemeinsamen Europa zum Opfer Europa bzw. die Diplomaten sehen die islamische. Länder als eine Einheit, diese Einheit gibt es aber nicht, insbesondere nach dem Scheitern des Panarabismus.
  • Es gibt bis jetzt keine klar definierte und glaubwürdige EU- Politik gegenüber den islamischen Nachbarregionen, was die Diplomaten mit Recht bemängelt haben. 
  • Die Aussage, dass in den islamischen Ländern politische Bewegungen ihre Forderungen nicht säkularistisch, sondern für längere Zeit islamistisch artikulieren ist nicht richtig. 

Ich bin der Meinung, dass die Islamisten sich auf dem Rückzug befinden. Hierzu einige Beispiele: 

Trotz der 16-jährigen und alleinigen Regierungszeit der National Islamic Front (NIF) im Sudan, ist das Projekt der “Reislamisierung“ und die Eskalation des Krieges im Südsudan durch Widerstand der Bevölkerung und politischen Druck von außen gescheitert. 

Die Organisation der Moslembrüder in Ägypten (gegründet 1928. Mutter aller islamischen und islamistischen Organisationen) ist durch eine beachtliche Zahl von Abgeordneten im ägyptischen Parlament vertreten. 

Hisbollah ( Partei Gottes im Libanon) ist sowohl im Parlament, als auch in der Regierung vertreten. Hamas in Palästina beteiligte sich an Kommunal- und Parlamentswahlen. 

Die Moderne, die Medien, die Immigration, die kulturelle Globalisierung und die Sachzwänge haben ihre Wirkung auch bei den Fundamentalisten nicht verfehlt. 

In dem Arbeitspapier werden die anderen politischen Parteien, die Nationalisten, die Liberalen und die arabische Linke, die meist für säkulare Werte stehen, völlig ignoriert Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Niederlage gegen Israel im „Sechs-Tage-Krieg“(1967) haben die schon erwähnten Gruppierungen tatsächlich einen empfindlichen Rückschlag erlitten, aber sie sind keineswegs wirkungslos geblieben. Trotz Verbot und Unterdrückung haben sie ihre Arbeit unbeirrt weiter verfolgt, besonders in den Bereichen Kultur und Literatur. Durch den eingeschränkten politischen Pluralismus in Ägypten, konnte nicht nur die radikale Opposition, sondern auch die regierungsnahen Intellektuellen und Universitätsdozenten die Politik der Regierung offen kritisieren. Außerdem hat es durch deren Einfluss sachliche Diskussionen und Debatten mit fundiert gestellten Fragen über die Ursachen der Stagnation, Rückständigkeit und der Unterbrechung der arabisch-islamischen Aufklärung (1900-1967) gegeben. 
Die arabische- islamische Welt muss neue Fragen stellen, um zu neuen Antworten zu gelangen. 

Was die Aussage betrifft, dass sich die Demokratie nach westlichem Modell auf die moslemischen Gesellschaften “von oben“ oder „von außen“ nicht transplantieren lässt (wie selbst das säkulare türkische Beispiel zeigt), so kann man geteilter Meinung sein. Betracht man zum Beispiel die Entwicklung in der Türkei: Wenn eine islamische Partei, wie in der Türkei, durch demokratische, friedliche und freie Wahlen an die Macht gekommen ist, und mit absoluter Mehrheit das Land regiert, zeigt sich die Wirkung des Säkularismus in der türkischen Gesellschaft. Das türkische demokratische Experiment könnte als Vorbild für den Rest der islamischen Welt gesehen werden, die bisher nur gescheiterte islamische Herrschaftssysteme vorweisen konnte. 
In diesem Zusammenhang ist auch die Entwicklung in Tunesien erwähnenswert. 

Das Papier beschränkt sich auf außenpolitischen und diplomatischen Handlungsbedarf der EU. Es ist jedoch notwendig, die Rolle der anderen Global Player (USA, Russland und China) zu erörtern. Die hegemoniale Rolle der Amerikaner bedarf keinerlei Erklärung. Eine Betrachtung der Rolle Russlands und Chinas ist, nicht nur wegen ihrer Rolle im Sicherheitsrat (Veto), sondern auch wegen ihrer langen wirtschaftlichen und militärischen Beziehung zu der arabischen und islamischen Welt, von großer Bedeutung. Die Russen beginnen sich nämlich langsam aus der Umklammerung der amerikanischen Politik zu befreien und suchen intensive Beziehungen zu China und Indien. Der Energiepolitik der Russen (Gas und Öl ) liegt nicht nur ein wirtschaftliches Interesse zugrunde, sondern wie jüngst auch ein Stück Machtpolitik 

Die EU hat durch Versagen der Troika ( Deutschland, England und Frankreich ) eine Chance verpasst, um die Krise im Iran zu entschärfen, oder gar zu lösen. Es wurden keine ernsthaften Angebote hinsichtlich der Sicherheit des Landes gegen äußere Angriffe noch über die Sicherung seiner Energiepolitik durch Forschungsarbeiten für den Einsatz von Atomkraft zur Stromversorgung für seine weitere wirtschaftliche Entwicklung gemacht. Ein Erfolg der EU wäre ein Beweis für ihre selbstständige Politik, und ein Gewinn an Gewicht und Vertrauen. 

Wie kann man logisch argumentieren, dass einige Länder, wie z.B. Indien, Pakistan und Israel Atomwaffen besitzen dürfen, aber der Iran nicht? Fühlt sich der Iran nicht durch die vor kurzem erwähnte Drohung des französischen Präsidenten Chirac mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, in seinem Vorhaben bestätigt? Die internationale Gemeinschaft ist gefordert, Wege zu finden, um das generelle Verbot der Atom- und Massenvernichtungswaffen zu erreichen, um eine Katastrophe für die Menschheit zu vermeiden. 

Es ist erstaunlich wie oft die These von Samuel Huntington Clash of Civilizations, durch Publikationen, Diskussionen und Zitate wie auch in diesem Papier, zitiert wird. 
Die These ist nicht nur oberflächlich in der Analyse, sie ist vor allem auch politisch motiviert 
Die arabisch-islamische Zivilisation hat in der Vergangenheit ihre Blütezeit gehabt mit einer durchaus positiven Ausstrahlung auf andere Länder. 
Die jetzige arabisch-islamische Welt ist gekennzeichnet durch Defizite in den Bereichen Ökonomie, Technologie und Militär. Ist dies die islamische arabische Zivilisation, die die westliche Zivilisation bekämpfen und sogar vernichten will? Ist nicht die ganze Debatte um den Kampf der Kulturen im Grunde eine Ablenkung von den wahren Problemen der Dritten Welt, um die ungerechte Politik, Ausbeutung und Unterdrückung des Westen gegenüber den Entwicklungsländern, zu rechtfertigen? Was ist das für eine Heuchelei! 
Ironischerweise findet die These von Huntington bei den Islamisten Anerkennung, weil beide die Islamisten und Huntington) den Kampf der Kulturen propagieren. 

Eine Vertrauensbildung seitens der EU zur islamischen Welt mit echter Partnerschaft kann nicht durch Verfolgung eigener Interessen und Unterstützung von Marionetten despotischer Regime, die ihre Bevölkerung unterdrücken und verachten, entstehen. Vertrauen kann nur entstehen durch Unterstützung der Reformkräfte in der Region, die sich um die Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation und um den Kampf gegen Armut, Korruption und Elend bemühen, welche die wahren Ursachen des Terrorismus sind. Der Terror gefährdet nicht nur den Westen, sondern auch die arabisch-islamischen Länder selbst und muss überall entschieden bekämpft werden. 
Die EU soll bei der Einführung von Zivilgesellschaften , Demokratie, Menschenrechten, sozialer Gerechtigkeit, Bürgerrechte, und Unabhängigkeit der Justiz in den arabisch-islamische Länder ihren Beitrag leisten. Es handelt sich hierbei nicht um innere Einmischung in andere Staaten. Damit würde sie helfen, allgemein gültige universelle Werte in diesen Ländern geltend zu machen ohne dabei die Besonderheiten der Lebenswelt anderer Kulturgemeinschaften zu negieren. 

Ein offener und kritischer Dialog zwischen der EU und der jetzigen amerikanischen Regierung, die durch ihre aggressive Ökodiktatur und Kriege die Stabilität in der Welt gefährdet, ist wichtig, denn diese Politik kann nicht im Interesse der amerikanischen Bevölkerung liegen. 

Der reine Verlass auf die militärische Gewalt, kann den Terror verstärken, dies ist eine sehr wichtige Aussage der Diplomaten. 

Zu dem wichtigen Satz in dem Text „Ein europäischer Sicherheitsraum ohne die Stabilität jener Regionen (…) ist nicht machbar“ würde ich hinzufügen: Sicherheit und Frieden kann es nicht ohne Gerechtigkeit und Freiheit geben. Sicherheit kann nicht „auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten gefestigt werden.“ 

Diese Bemerkungen dienen zur Erörterung und Vertiefung dieses wichtigen und konstruktiven Beitrags der Diplomaten, der voll von Denkanstößen mit pragmatischen Darstellungen ist und Lösungsansätze mit großem Feingefühl und Diplomatie bietet. 
 

Dr. Hamid Fadlalla                                                                                                                    Berlin, den 16.1.2006 
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14057 Berlin
Tel: (030) 3225850 
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