Pressemitteilung – 27.10.2004

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Arabische Welt: Souveranität wird zurückgefordert

Der diesjährige Ibn Rushd-Prize für Freies Denken wird dem ägyptischen Autor Sonallah Ibrahim verliehen. Er wird den Preis am Freitag, 26. November 2004, persönlich in Berlin entgegennehmen.

Ibrahim erhält den Ibn Rushd-Preis für seinen langwährenden und unnachgiebigen Kampf für Meinungsfreiheit und Demokratie in der arabischen Welt. Eine unabhängige Jury, bestehend aus fünf namhaften arabischen Intellektuellen, erwählte den ägyptischen Schriftsteller Sonallah Ibrahim zum Preisträger des Jahres 2004.

Sonallah Ibrahim ist, von Frankreich einmal abgesehen, nicht sehr bekannt in der westlichen Welt. In der arabischen Welt wird der Name dieses wichtigen zeitgenössischen Schriftstellers in einem Atemzug mit Autoren wie Naguib Mahfous und Gamal al-Ghitani genannt. Er ist nicht nur einer der berühmtesten, sondern auch einer der kontroversesten Autoren in der arabischen Welt, da er stetig arabische und besonders die ägyptische Gesellschaft als undemokratisch und korrupt kritisiert. Sein erstes Buch Jener Geruch war aufgrund der krassen Sprache und des ungeschminkten Inhalts in Ägypten nach seiner Veröffentlichung 1966 bis 1986 verboten.

Für Ibrahim ist es wesentlich, einen wirklich arabischen Blick auf die Dinge darzustellen, und diese Haltung drückt sich auch in seiner Sprache aus. Er verabscheut, durch den Gebrauch der Sprache der Herrschenden korrumpiert zu werden, und bemüht sich stattdessen um eine authentische Sprache jenseits der durch literarische Tradition vorgeschriebenen Regeln. Das war und ist noch heute revolutionär in einer literarischen Umgebung, die strikte Anwendung traditioneller literarischer Formen fordert, die von Autoren erwartet, in schöner Sprache über schöne Dinge zu schreiben, oder, wie Ibrahim sagt „nur über die Schönheit der Blumen und ihren herrlichen Duft zu sprechen, während Exkremente die Straße füllen und Kloake den Boden bedeckt und alle es riechen.“ In der Einleitung zu Jener Geruch stellt er folgende Frage: „Erfordert nicht die Materie etwas Häßlichkeit im Ausdruck, um die Häßlichkeit zu beschreiben, die dem Prügeln, dem Totprügeln, eines wehrlosen menschlichen Wesens, dem Einführen einer Luftpumpe in den After, und dem Befestigen von Elektrokabeln an seinen Genitalien, innewohnt?“

Sonallah Ibrahim verbrachte, im Zuge der häufigen kollektiven Inhaftierung von Intellektuellen in Ägypten in den Sechzigern, mehr als fünf Jahre im Gefängnis (1959-1964). Obwohl er eingesteht, durch die Erfahrungen im Gefängnis für den Rest seines Lebens traumatisiert worden zu sein, gelingt es ihm, jene Zeit aus einem positiven Blickwinkel zu betrachten. Er sieht diese Jahre der Zwangsarbeit und Folter als seine Universität: „Von Mitinsassen wie dem berühmten ägyptischen Autor Mahmoud Amin el-Alem und anderen Kameraden habe ich die wahre Bedeutung von Gerechtigkeit, Fortschritt und Liebe zum eigenen Land gelernt.“

Sonallah Ibrahims Texte konfrontieren die modernen Repräsentationssysteme, die Diskurse der Macht und die Produktion von Wissen, wobei das Hauptaugenmerk auf der Position des Intellektuellen gegenüber der Autorität liegt. Seine Aufmerksamkeit gilt jedoch auch dem ökonomischen und kulturellen Imperialismus, und seit seinem Roman ‚Allagna‘ (Der Prüfungsausschuß, 1980) setzt sich Ibrahim mit der Globalisierung und ihrem Einfluß auf die arabische Gesellschaft auseinander. Er wirft den politischen Entscheidungsträgern der arabischen Welt vor, amerikanische Politik zu akzeptieren und in ihren eigenen Ländern durchzusetzen, ohne die Interessen ihrer eigenen Völker ausreichend zu berücksichtigen. Sein jüngster Roman Amrikanli bedeutet ‚Amerikaner‘ in arabischem Slang, aber es kann ebenso als „Ich war einmal mein eigener Herr“ (Amri kan li) gelesen werden.

Als Sonallah Ibrahim 2003 den vom ägyptischen Ministerium für Kultur vergebenen Preis für den Arabischen Roman erhalten sollte, rief seine öffentliche Ablehnung des Preises einen Skandal hervor. In seiner Rede, die eigentlich die Empfangsrede hätte sein sollen, sagte er, daß der Preis „von einer Regierung verliehen wird, der die Glaubwürdigkeit zur Verleihung eines solchen Preises fehlt.“

Er arbeitet seit 1975 ausschließlich als Schriftsteller, wobei Grundeinkommen und Unabhängigkeit durch Übersetzungen, Bücher für Jugendliche und Kino- und Fernsehdrehbücher gesichert werden.

In seinen Werken hat Sonallah Ibrahim unablässig dazu aufgerufen, ein kritisches Bewußtsein zu bewahren und politische Zusammenhänge und Verwicklungen zu erkennen und zu durchschauen. Seine Romane ermutigen den Leser, Widerstand zu leisten und die beklagenswerten Zustände nicht hinzunehmen, sondern für eine Besserung kämpfen.

Sonallah Ibrahim wird den Preis am 26. November 2004 um 17.00 Uhr im Goethe Institut, Neue Schönhauser Straße 20, in Berlin-Mitte persönlich entgegennehmen. Der Preisverleihung folgt eine Pressekonferenz; ein Empfang mit arabischem Kaffee und Bakhlava und Zeit für persönliche Diskussionen schließt die Feierlichkeiten ab.

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