Liebe Leser!
Wir freuen uns, Ihnen im Rahmen dieses Forums zum fünften Mal interessante Beiträge aus der arabischen Welt bieten zu können. Diese Ausgabe führt uns wieder zurück ins 12. Jahrhundert von Ibn Rushd und Ibn Arabi. Die Bedeutung dieser beiden Philosophen für die Neuzeit ist Schwerpunkt von drei Beiträgen.
Nach einigen Eckdaten aus dem Leben von Ibn Rushd (1126-1198) setzt sich Habeeb Salloum mit dem Werk und Wirken des Philosophen auseinander. Aus seinen verschiedenen Ansichten und Äußerungen versucht Salloum, das Wesen Ibn Rushds zu fassen und ein rundes Bild von seinem Charakter zu zeichnen. Für Leser ohne Vorkenntnisse, die sich einen Einblick in Ibn Rushds Leben verschaffen wollen, ist Salloums Beitrag der richtige Einstieg.
Aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet Hakam Abdel-Hadi den Philosophen. Der palästinensische Journalist nimmt die Verleihung des IBN RUSHD Preises für Freies Denken 2003 an Muhamed Arkoun zum Anlass, um seine eigenen Überlegungen über Fehlentwicklungen und politische Versäumnisse in der arabischen Welt zu unterbreiten – zur Verdeutlichung der Bedeutung Ibn Rushds für die Neuzeit bringt Abdel-Hadi Äußerungen und Zitate aus einem Radio-Interview mit dem Ibn Rushd-Kenner Muhamed Arkoun und Zitate aus der Laudatio von Prof. Stefan Wild. Abdel-Hadi stellt zurecht die Frage, wie es sein konnte, dass Ibn Rushd (Averroes) in der arabischen Welt keinen Einfluss hatte, während seine Werke Europa zur Hochkultur leiteten? Warum konnte zur gleichen Zeit der reaktionäre al-Ghazali bis heute zutiefst in die arabische Gesellschaft eingreifen? Die heutige Angst vor dem Fremden (al-fikr al-wafid) und vor dem Verlust der eigenen Identität kannte Ibn Rushd damals noch nicht. Abdel-Hadi betont, es sei an der Zeit, an das eigene Fundament zu rütteln, ans eigene Denken. Dabei soll Averroes kein Heiliger werden: Arkoun warnt vor dem Festklammern an die Vergangenheit. Man müsse mit der Modernität mitschreiten, und sich nicht unbedingt Averroes selbst zum Beispiel nehmen, sondern letztendlich seine Offenheit gegenüber Andersdenkenden.
Aus einer postmodernen Perspektive wird als nächstes Ibn Arabi (1165-1240) betrachtet. Mohamed Mesbahi aus Marrakesch steigt von Anfang an ins tief Philosophische hinein und vergleicht Ibn Arabis und Ibn Rushds Theorien mit den Theorien der modernen Philosophen des 20. Jahrhunderts, vor allem mit Heidegger. Themen, die in der Moderne diskutiert wurden, werden rückwirkend im Spiegel der alten Wissenschaftler wieder aufgegriffen, um ihre Ansichten von der menschlichen Vernunft (Logos, dem passiven und aktiven Denken), von der Existenz Gottes und dem Vergessen ins Licht der Moderne zu stellen.
Einem politischen Aufschrei gleich kommt der kurze Beitrag von der in Holland lebenden irakischen Dichterin Balkis Hassan. Wütend über die Degradierung der arabischen Welt in den westlichen Medien zur verrufenen Brutstätte des Terrors richtet sie ihre Kritik jedoch nicht wie erwartet auf die Amerikaner und Europäer, sondern gegen sich selbst. Sie wirft viele Fragen auf: Mit welcher Legitimität ist die Macht arabischer Fürsten und Herrscher begründet? Was haben wir von Europa gelernt, um unsere Gesellschaft zu reformieren? Ist die Idee der Demokratie und der Zivilisation überhaupt in unserem Denken verankert oder nur ansatzweise von der Oberfläche verstanden worden? Werden Frauen in der arabischen Welt jemals als gleichberechtigte Bürgerinnen anerkannt? Balkis Hassan verlangt eine schonungslose Selbstkritik.
Im Rahmen verschiedener Veranstaltungen zu Palästina wurde die palästinensische Schriftstellerin Sahar Khalifa im Februar 2003 nach Deutschland eingeladen. Hakam Abdel-Hadi übersetzt für uns einen Auszug aus dem Interview, das die Wochenzeitung Die ZEIT mit ihr führte.
Zum Schluss bieten wir wieder eine literaturkritische Analyse des Romans Seasons of Migration to the North von Tayyeb Saleh (cf. „Der schwarze Engländer am Nil“ von Hans-Peter Kunisch, 2.nd Issue, Sommer 2001). Der ägyptische Literaturwissenschaftler Khairi Douma stellt den Roman im Licht der postkolonialen Literaturtheorie vor. Dabei versteht er es, die Theorie mit einer Fülle von Beispielen und Literaturhinweisen spannend zu erläutern, so dass der Beitrag für Literaturwissenschaftler gleichzeitig als Einstieg in die Theorie des Postkolonialismus betrachtet werden kann.
Viel Spaß beim Lesen!
Ihre Redaktion
Abier Bushnaq
12. April 2004