Laudatio: Ibn Rushd Preis 1999

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Laudatio zur Verleihung des Ibn Rushd Preis für Freies Denken an den al-Jazeera TV Channel / Qatar

Laudatio von Dr. Ali Hachicho

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

heute, genau vor einem Jahr und in diesem Haus – im HAUS DER KULTUREN DER WELT – anlässlich des 800. Todestages des aufklärerischen islamischen Denkers Abul Walid Ibn Rushd, und zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen – ist die Gründung dieses Vereins bekanntgegeben worden, der den Namen IBN RUSHD trägt und Forum für Freies Denken sein soll.

Der Verein macht sich die Aufgabe, freie Meinungsäußerung und demokratisches Denken in der arabischen Welt zu unterstützen und zu verbreiten, deren Länder immer noch unter der Ungerechtigkeit ihrer Regierungen, Unterdrückung der Opposition und Einschränkungen allgemeiner Freiheiten und Bedrängung der Frauenrechte so wie Verletzung der Grundsätze der allgemeinen Menschenrechte leiden.

Wenn dieser Verein Ibn Rushd als Namenspatron für sich wählt, so deshalb, weil Ibn Rushd der Philosoph war, der für die Zivilisation der Menschheit das Denken des großen Aristoteles weitergegeben hat und die Unklarheiten seiner Werke erleuchten vermochte, indem er den kritischen Geist und die Dialektik angewandt hat und so die Versöhnung von Vernunft und Offenbarung – islamisches Recht und Philosophie – in Einklang bringen konnte.

Er sagt: „Beides sind einander wie Bruder und Schwester“.

Es gab für ihn nur eine untrennbare Wahrheit. Differenzen ergeben sich nur durch unterschiedliche Interpretationen. Ibn Rushd schrieb eine Einleitung, einen Kommentar und eine Kritik zu Platos Politeia, welches auch Republic genannt wird und sein Ausgangspunkt für seine Forderung nach Recht und Gerechtigkeit ist, damit eine Harmonie erreicht werde zwischen dem Glauben an die Grundsätze und der Notwendigkeit ihrer Verwirklichung.

Obwohl er der einflussreichste Ober-Kadi von Cordoba und Privatarzt des Kalifen al-Muwahhidi war, kritisierte er seine Herrschaft und warf ihm Ungerechtigkeit und Autokratie vor und erklärte, dass er seine religiöse Legitimität verloren habe. Ibn Rushd mußte deswegen Unterdrückung und Verfolgung erleiden und zusehen, wie seine Bücher konfisziert und verbrannt wurden.

Es ist bekannt, daß Ibn Rushd, den die europäischen Gelehrten des Mittelalters Averroes nannten, sehr großen Einfluss auf das europäische Denken hatte. Durch seine Philosophie und Interpretationen wurden menschliche Zivilisationen befruchtet und miteinander verbunden. Seine Werke wurden von jüdischen Wissenschaftlern übersetzt – angefangen von Saadi ibn Yusuf bis Musa ibn Maimun (Maimonides) – und haben die europäische Philosophie beeinflusst. Thomas von Aquin von der katholischen Kirche unterstützte Ibn Rushd in der Versöhnung von Vernunft und Offenbarung.

Später ist die lateinische “Averroismus-Lehre” entstanden, die über seine ursprünglichen Lehren hinausgeht und sich auf die Lehre von der doppelten Wahrheit stützt, das heißt, dass die Philosophie mit der Theologie unvereinbar sei.
Es gab außerordentlich große Kontroversen, die bis Anfang des 16. Jahrhunderts andauerten.

Erwähnenswert ist, dass unser großer Philosoph es war, der die Diskussion weit öffnete und an die Notwendigkeit der Meinungsäußerung Andersgläubiger festhielt und forderte, die konträre Meinung zu respektieren und den Verstand zu gebrauchen, um an die Erkenntnis der Wahrheit zu kommen. Auf Grund dieser Lehren gründet sich unser Verein.


Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir sind hier versammelt, um die Verleihung des ersten Preises zu feiern, der in diesem Jahr an Medien und Journalismus geht. Das Exekutivkomitee des Vereins entschied sich, den Preis dieses Jahr an den Fernsehsender Al-JAZEERA Satelite Channel zu vergeben.

Der Sender aus Doha, der Hauptstadt von Qatar, sendet seine objektiven Programme, die innerhalb und außerhalb der arabischen Länder die arabischen Zuschauer vermehrt anzieht, – Menschen, die überdrüssig sind, den offiziellen Medien zuzuhören und zuzuschauen, – Medien, die Tag und Nacht nichts anderes außer Lobes- und Huldigungsreden an Könige und Regierungshäupter anbieten, und nichts als Trommel- und Flötenmusik von ihren Herrschern zeigen oder primitive Unterhaltungssprogramme senden, mit denen offensichtlich die Massen abgelenkt werden sollen, deren Grundrechte eingeschränkt sind und deren freier Wille gefälscht ist.

Wir würdigen heute den Fernsehsender Al-JAZEERA, weil uns bewusst ist, dass der Druck und die Kritik auf den Sender immer größer werden. Man beschuldigt den Sender, dass er beispielsweise nicht das Regime des eigenen Landes kritisiere, und dass der Sender entstanden sei, um Menschen irrezuleiten, um regionale Sympathien zu gewinnen, dass er keine klare offene Stellungnahme zur willkürlichen Aggression und Besatzung und der fortdauernden Feindschaft in der Region übt, und dass er einigen Despoten gegenüber gefällig sei.

Zum Glück hat der Fernsehsender bereits diese Beschuldigungen in seinen Programmen zu offenen Gesprächsthemen erklärt. Dies zeigt erneut, wie offen der Sender für Kritik steht und bereit ist, sich zu bessern und zu entwickeln.

Aus diesem Grunde sind wir voller Hoffnung, dass dieser Sender Al-JAZEERA ( auf deutsch “die Insel” ) den Anfechtungen standhält und in seinem Weg, den er eingeschlagen hat, fortfährt, damit sein Name weiterhin eine Insel für freies Denken und freie Meinungsäußerung bleibt. Eine Insel, die immer offen für den sachlichen Dialog und ein Forum für konstruktive Diskussion ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir fühlen uns geehrt, den Fernsehsender Al-JAZEERA bzw. sein Führungskomitee, vertreten durch:

Herrn Mahmud Abdul Aziz as-Sahlawi

– Stellvertreter der Direktion des Fernsehsenders Al-Jazeera 
und

Herrn Muhammad Jasim al-Ali

-Vorstandsmitglied und Programmdirektor des Senders 

mit dem

IBN RUSHD PREIS für Freies Denken
für Journalismus und Medien für das Jahr 1999
auszuzeichnen.


Dies ist der erste Preis, den der Verein, seit seiner Gründung vor einem Jahr, verleiht. Es ist ein Preis, der sich nicht durch die Höhe der verhältnismäßig kleinen Summe misst, sondern symbolisch zu verstehen ist als Ehrerweisung für diesen bahnbrechenden Pionier-Kanal, als Zeichen der Ermutigung und Anerkennung, damit der Kanal auf seinem Weg weiterschreitet, seine Programme weiterentwickeln und seine Arbeit intensivieren kann, um somit beizutragen, dass die demokratische Atmosphäre allgemeine Verbreitung findet und ihre Stützpfeiler Souveränität der Völker, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Achtung der Würde und Freiheit des Einzelnen – in der Gesellschaft verankert werden.

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